Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

HAMBURGJE SUIS SANS SOUCI

Kitsch und kein Entkommen

10. August 2011 von Erik Stein
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Kunstkitsch oder dessen künstlerische Reflektion: "Scheitern der Sentimentalen"
Im Vorwort beklagt Künstlerin Christin Kaiser das „kanonisierte Spielen, Kombinieren und Machen mit dem Billigen, Unechten, Verzuckerten, Verkitschten und Trashigen“. „Je suis sans souci“ heißt die Ausstellung in der Galerie Genscher, in die das Lamento einführt. Um Kitsch soll es gehen, um den schlechten Geschmack als künstlerischen Imperativ unserer Zeit. Fünf Künstler, Maler und Bildhauer, treten an, genau damit abzurechen. Man erwartet das, auch weil Kaiser die schlimmsten Szenarien bereits ironisch vorweg nimmt. Kategorisch buchstabiert sie, welche Arbeiten bei einer Ausstellung mit „sans sauci“ im Titel zu vermuten wären: „a) lustig: ein Nachbau aus Wiener Würstchen und das ganze als „Soucisson” betiteln, b) kritisch: ein Nachbau aus Make-up und Lippenstift mit dem Verweis auf die gleichnamige Pflegeproduktserie, deren Markenbotschafterin für Moisture und Clear Skin eine vermarktete majestätische Aura ist, c) stylisch: rohe Dachlatten, Bauschaum, Kritzischwämme und Glitzerstaub.“ Umso gespannter ist man auf die Gegenentwürfe von Christin Kaiser, Aleen Solari, Youngjin Song, Anna Steinert und Christoph Wüstenhagen.
Es gibt keinen Glitzerstaub und keine Dachlatten in der Galerie Genscher, dafür Glitzerfolie, Neonfarben und eine junge Birke mit Neonröhre im Geäst. So wirklich versteht man das nicht – nicht als Gegenentwurf. Jeder Künstler hat eines der fünf Bilder beigetragen, die sich ordentlich gerahmt an der längsten Galeriewand reihen. Nach Aussage eines Künstlers hat jeder dabei ein Element oder einen Aspekt seiner gewöhnlichen Arbeitsweise aufgegriffen und in eine großformatige Collage eingearbeitet bzw. verkitscht. Maler Christoph Wüstenhagen hat beispielsweise eine seiner abstrakten Neonmalereien im Museumsposterlook reproduziert und gerahmt. Das sieht schön scheiße aus, ist aber nicht wesentlich unterschieden von jenem marktförmigen Kunstkitsch, den man eigentlich kritisieren wollte. Die Bilder haben eine hohe geschmackliche Qualität, auch eine handwerkliche, aber sie assoziieren eben zu sehr noch die allbekannten Kunstoptiken. Bei Kaisers Poussin-Adaption, einem reproduzierten Landschaftsbild, in das sich eine ihrer neonfarbenen Skulpturen verirrt hat, ist das nicht anders. Mit tiefbraunem profiliertem Holzrahmen, Titelreferenz und Goldplakette wirkt das Bild sowas von campy und zitatschwanger, dass man als Kurator seine Freude hätte – aber eine Antwort auf das im Vorwort aufgeworfene Problem ist das nicht, ja nicht mal dessen künstlerische Problematisierung. Viel zu sehr bleibt man dem missliebigen Standard verhaftet: der künstlerischen Nobilitierung von vermeidlich schlechtem Geschmack.
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Fotocollagen von Youngjin Song, Christin Kaiser, Christoph Wüstenhagen, Aleen Solari und Anna Steinert (v.l.n.r.)
Neben einer zweiten Wand mit fünf gerahmten und inhaltlich divergierenden Künstlerstatements, macht auch die gemeinsam erarbeitete Skulptur in einem Winkel des Raumes deutlich, dass die Ausstellung an ihren eigenen hehren Ansprüchen gescheitert ist – oder scheitern musste. Eine blätterbefreite Birke, deren Stamm aus einer mintfarbenen Holzplatte ragt und in deren Krone eine kleine Neonröhre leuchtet, vermag es allenfalls, die beschriebene Ödnis vorherrschender Material- und Verarbeitungsmuster in der Gegenwartskunst ein weiteres mal zu exerzieren. Der Titel der Arbeit lässt erahnen, dass man sich dessen bewusst war: „Scheitern der Sentimentalen“.
Die Künstler bleiben uns das Neue schuldig. In dem Eingeständnis ihrer Langeweile, dem offengelegten Überdruss am florierenden Kunstkitsch, könnte gleichwohl ein Anfang liegen.

Kommentare

#1) Am 6. September 17:10 um Uhr von melancholy

Wenn Hipsterkunst nicht mehr hipster sein will. Aber die HFBK ist voll davon, und der anstehende Wandel wird grausam sein, ein Gemetzel. Denn auch ohne Ironie kann man so viel falsch machen, und das große Pathos-Comeback braucht ja auch keiner. Fashion und Musik haben sich nun den 90ern zugewandt, wahrscheinlich wird diese Kunst hinterhertappen.

#2) Am 8. September 17:11 um Uhr von Senfke

HFBK Hamburg? Von wegen Hipster. Geh nach zum Städel oder gleich nach Berlin. Die Hochschule in Hamburg ist so hip wie ein Matjesbrötchen.

#3) Am 7. Oktober 17:11 um Uhr von Ullrich Läntzsch

Welche Kunst ist in unserer Gesellschaft zu erwarten? Würde ich erwarten, meine Kunst verkaufen zu können, dann wäre es sicher dienlich, so fabulieren zu können, wie Christin K. Wer auf den Kunstmarkt schielt, hat als Künstler schon verloren. Allerbeste Ullrich Läntzsch