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ESSENAERNOUT MIK: COMMUNITAS

Sanfte Augen

20. Januar 2012 von Erik Stein
„What do you need at a crime scene?
Soft eyes. If you got soft eyes, you can see
the whole thing. If you got hard eyes – you’re
staring at the same tree missing the forest.“
(William „Bunk“ Moreland, The Wire)

Das politische Potenzial künstlerischer Praxis ist zurückgekehrt in den Themenkreis der feuilletonistischen Öffentlichkeit. In puncto Aufmerksamkeit scheint Artur Żmijewskis Berlin Biennale bereits jetzt erfolgreicher als alle Fachkongresse, Themenhefte und -ausstellungen des vergangenen Jahres zusammen. Die Frage, wie „politische Kunst“ 2012 aussehen muss, ist nun bestens platziert, und das allgemeine Interesse in Erwartung einer Antwort Richtung Berlin gelenkt, wo die Biennale am 29. April eröffnet wird. Bis dahin warten muss man nicht, denn mit ihrer Werkschau des Niederländers Aernout Mik hat das Essener Folkwang Museum bereits zusammengetragen, was in Sachen „politischer Kunst“ heute State of the Art ist.
Aber noch mal zum Berliner Vorspiel: Mit Aussagen wie der, die Kunst habe mit ihrer Kommerzialisierung ihren öffentlichen Auftrag verspielt, trifft Żmijewski den Nagel ebenso auf den Kopf wie mit der Kritik an der sozialen „Mitleidsterminologie“ der Kunstwelt und dem „Opportunismus vermeintlich rebellischer oder provokanter Künstler“ (vgl. Interview im aktuellen Magazin der Kulturstiftung). Die kuratorischen Konsequenzen, die er aus diesen treffsicheren Zustandsbeschreibungen zieht, scheinen zugunsten politischer Programmatik jedoch auf eine Art ästhetische Resignation hinauszulaufen. Bisher jedenfalls forciert die Berlin Biennale ausdrücklich Projekte, deren primärer Auftrag der direkte politischer Effekt ist. So erfüllte sich im medialen Aufschrei der vergangenen Woche bereits der des Sarrazin-Buchrecyclings von Martin Zet. Es ist zumindest zu vermuten, dass die ästhetische Erfahrung seiner im April folgenden Bücherinstallation eher seicht ausfallen wird.
Es mag ja als vereinzeltes künstlerisches Statement funktionieren, wenn Künstler die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel lieber einer konkreten und dezidiert politischen Aktion zuführen. Gelungen ist das Hans-Peter Feldmann 2007 bei der „Skulptur Projekte“ in Münster mit seiner WC-Anlage am Domplatz. Statt in einer künstlerische Außenskulptur investierte Feldmann in die Renovierung und Wiederinbetriebnahme einer öffentlichen Toilette. So waren beide bloßgestellt: die neoliberale Lokalpolitik und das subventionierte Kunstevent. Feldmanns WC machte klar: dort, wo die öffentliche Hand versagt, ist die ästhetische Erfahrung nachrangig. Die Hierarchie dieser Wertigkeit soll mitnichten in Abrede gestellt werden.
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Hans-Peter Feldmann: WC-Anlage am Domplatz (Foto: Roman Mensing / artdoc.de)
Im Gegenteil, es ist vielmehr ein Problem, wenn Kunst primär sozial legitimiert werden soll und man versucht, sie mit aktivistischem Gestus außerhalb des Kunstsystems zu reterritorialisieren. Die Pragmatik der Kunst ist eine Andere als die der Politik – sie kann diese nicht ersetzen. Vor allem dort nicht, wo unsere Demokratie ihre entscheidenden politischen Instanzen findet: im Parlament und auf der Straße. Vor allem dann nicht, wenn sich, wie derzeit, diese Instanzen in einer essentiellen Krise befinden. Mein Eindruck ist, dass wo man Kunst als Politik propagiert, zu oft von dem Umstand abgesehen wird, dass die beteiligten Bürger tatsächlich keinerlei politisches Engagement aufbringen, außer demjenigen, zu dem sie ihre Kunst stilisieren. Ich kenne jedenfalls kaum bildende Künstler, die sich in einer Partei oder einer NGO engagieren, die sich am zähen Prozedere tagespolitischer Willensbildung oder an Demonstrationen beteiligen. Das dagegen, was beispielsweise jetzt unter dem Banner von Occupy an Kommunikationsguerilla durch die Straßen und Netze zieht, ist das, was es ist: Politik. Es hat die Umetikettierung zur Kunst nicht nötig. Gleiches gilt für die renovierte Toilette von Feldmann.
Dagegen präsentiert das Essener Folkwang mit Aernout Mik einen Künstler, dessen Kulturarbeit tatsächlich politische Reflexion provoziert, und nicht den empörten Reflex, der im Vorfeld der Biennale beschworen wird. Ein eigens gebauter schmaler Flur führt in die Ausstellung, deren kluge Architektur zehn Videoinstallationen Raum lässt. Die Videowände werden in der Regel durch Rückprojektionen bespielt und reichen vom Boden etwa eineinhalb Meter in die Höhe. Da die meisten seiner Filme keinen Ton haben, kommen sie sich akustisch kaum ins Gehege. Auch die Blickachsen sind so angelegt, dass man sich problemlos in eine Arbeit vertiefen kann, ohne dafür in muffige Videokabinen verbannt zu werden. Meist sind es Mehrfachprojektionen die Mik im Halbkreis organisiert, was im Zusammenspiel mit den oft schweifenden Kamerabewegungen seiner Filme einen überaus räumlichen Eindruck vermittelt, in dem der Besucher beginnt sich umzusehen. Die Arbeiten haben generell ein stark sensibilisierendes Moment, der die Aufmerksamkeit von den vorgelagerten Zeichensystemen hin zu kleineren Details und von diesen schließlich zu übergeordneten Überlegungen führt.
Wie bei „Communitas“, der titelgebenden Videoinstallation von 2010, in der das Innere des Warschauer Kultur- und Wissenschaftspalasts zum Hintergrund einer für Mik typischen Inszenierung mit Laiendarstellern wird. Das Hochhaus im Stil des Sozialistischen Klassizismus war ein Geschenk der stalinistischen Sowjetunion an das damalige Polen und ist bis heute Wahrzeichen und Kulturzentrum der polnischen Hauptstadt. Im Miks stummen Aufnahmen werden verschiedene an Theater-, Konferenz- und Parlamentsräume erinnernde Teile des Gebäudes von Gruppen aus bis zu 500 Darstellern besetzt. Deren Zusammensetzung erinnert ein bisschen an die 100%-Aufführungen von Rimini Protokoll, bildet also zumindest optisch einen ziemlich realistischen Querschnitt durch eine mitteleuropäische Gesellschaft. Transparente an den Wänden geben Hinweise auf ihr Programm: „Okupacja“ steht auf einem, ein anderes fordert „demoka“.
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Aernout Mik: Setfoto aus „Communitas“, 2010 (© Aernout Mik / Foto: Florian Braun)
Nun mäandern die Versammlungen fortwährend zwischen verschiedenen Konstellationen: Da sind die euphorischen Momente der eroberten Demokratie, Menschen werden ans Mikrofon gebeten, ernten gerührte und zustimmende Blicke. Da sitzen Menschen friedlich diskutierend an Konferenztischen, auf Konferenztischen, stehen lässig um sie herum und scheinen alle architektonischen Hierarchisierungen zu überwinden. Diese Momente gleiten über in chaotischere – einzelne Besetzer fangen an zu essen, zu schlafen oder verlieren sich in apathischer teils nestelnder Selbstbeschäftigung. Dann wieder gibt es Situationen, in denen sich Strukturen Bahn brechen. Die Menschen beginnen merkwürdig anmutende, gleichsam vertraut wirkende Rituale. Sie erheben sich von ihren Plätzen, zählen die Anwesenden, singen, schwingen Fahnen oder nehmen sich bei den Händen. Man erinnert sich an die nicht minder seltsam anmutenden Rituale auf den Großveranstaltungen von Occupy und Ökobewegung: das kollektive Händewinken anstelle von Rufen und Klatschen oder den „Mic Check“. Diese Rituale bringen für eine Weile Ordnung in Miks lose Ansammlungen, die sich immer wieder aufzulösen drohen. Sie verbinden, und zugleich versanden sie auch im alten symbolischen Reservoir unattraktiver Kollektivdynamiken, in denen die anfängliche euphorisch gefeierte Freiheit schließlich erstarrt.
Die Bewegungen zwischen diesen Situationen sind nie abrupt, sie vollziehen sich langsam, wie die Kamera, die sie mit ihren ruhigen Fahrten begleitet. Der nachziehende Blick des Betrachters scannt das Feld nach Anzeichen anstehender Veränderungen und ist eben dadurch sensibilisiert für die jeweiligen Details im Wirken der Einzelpersonen. Dank der Übersicht der Kamera, der Dreiteilung ihrer Aufnahmen, dem räumlichen Aufbau verliert der Betrachter dennoch nie das Ganze aus den Augen. Es scheint vielmehr als lege ihm das Werk die Augen eines Anthropologen nahe oder die „ruhenden Augen“ von Detective Bunk: „If you got soft eyes, you can see the whole thing.“ Es ist dieses Insistieren auf der Reflexion des Überbaus, des Demokratiewerdens und Demokratiebleibens einer Gemeinschaft, der ermüdenden und unattraktiven Prozesse demokratischer Selbstvergewisserung, die dieses Werk so eindringlich und wichtig macht.
Hier ist endlich ein Künstler, der die drängendsten Fragen unserer demokratischen Identitätskrise mit der ihnen gemäßen Komplexität und dem nötigen Ernst verhandelt. Die postdemokratische Wirklichkeit, der florierende Populismus neoaristokratischer Regenten (wie in seiner neuen Arbeit „Shifting Sitting“, 2011, die einen Gerichtsprozess gegen Berlusconi demontiert), die verheerende Grenzpolitik („Training Ground“, 2006) oder die verlorene migrantische Jugend („Schoolyard“, 2009) – es sind die großen Themen des gegenwärtigen Europas, die Mik den Besuchern erneut zum Problem macht. Auch denjenigen, deren politische Verantwortung sich bislang in täglicher Spiegel-Online-Lektüre und dem Konsum von „kritischer Kunst“ genügte. Vor ihre „sanften“ Augen führt er, wie vertrackt und zugleich beweglich die Organisation unserer Gemeinschaft ist. An keiner Stelle aber hinterlassen seine Werke den Eindruck, sie seien selbst schon Teil politischer Konsequenz. Umso mehr machen sie klar, dass an Straße und Parlament kein Weg vorbei führt.

Kommentare

#1) Am 22. Januar 09:57 um Uhr von verärgert

Ich möchte an dieser Stelle mal das vielzitierte "politische Potential von Kunst" für die Gegenwart komplett in Frage stellen. Es gab mal die Situatonistische Internationale, die sich dem hier beschriebenen Kunstbetrieb aber angeekelt verweigerte, und den Markt dazu nutzte, Geld für ihre Aktionen ranzuschaffen. Es gab noch einige ähnliche, etwas weniger wirkungsvolle, aber dennoch damals riskante, mutige Ansätze. Damals war das reales Aufbegehren und skandalös. Heute lernt jeder Facebook-Kunststudent im zweiten Semester, dass, wenn er nicht innerliche oder formal-experimentelle Blder pinselt oder Recycling-Installationen bastelt, er schon was konzeptuell und politisch angehauchtes abliefern muss - um Erfolg zu haben. Der Erfolg sieht dann so aus, dass er/sie auf Biennalen und in zunehmend großen Institutionen gezeigt wird, Preise für die politische Kunst bekommt, Stipendien, und schwafelnde Lobpreisungsartikel voller Kuratorenprosa. Aber Publikum und Adressaten sind da wer genau? Was verändert diese ganze seicht-wohlfeile Politkunst und Medienkritik denn eigentlich? Offene Türen noch einmal einrennen? "Die Menschen zum Nachdenken bewegen"? Gibt es da eigentlch irgendwo einen einzigen sichtbaren Erfolg vorzuweisen jenseits von Bankkonto und Lebenslauf der Politkünstler und ihrer Umgebung? Etwas vergleichbares wie den Mai 68 oder den Widerstand der Emigranten gegen den NS? Ist das nicht einen Predigen an sowieso Überzeugte? Richtet sich diese Kunst nicht an das selbe elitäre Kunstpublikum, das sich als nächstes dann wieder den Rehberger, Meese usw. reinzieht und auch "interessant" findet? Ist es denn auch schon politisch, sich die Politkunst zu kaufen? Ist das alles nicht einfach nur eine eklige Simulation und Ausbeutung von "politisch sein", bei der man sich irgendwann wünscht, die Künstler hätten einfach mal selbst eine Idee, eine Wahrnehmung, ein Konzept, das nicht auf empörter Zeitungslektüre beruht? Wo sind die Erfolge dieser "Politischen Kunst", und warum werden ihre Institutionen von den selben Leuten gesponsert, die ansonsten die unerträglichen politischen Verhältnisse mit verantworten oder von ihnen gut profitiert haben? Was soll das alles, schlechtes Gewissen? Bitte aufhören, es ist nur noch eklig und ändert NICHTS! Paar Leute werfen sich in Posen und machen so Karrieren, ansonsten bleibt alles, wie es ist.

#2) Am 23. Januar 22:21 um Uhr von januarius zick

ich freue mich schon über den gut geschriebenen, aber noch verblendeten oder von einer falschen hoffnung getragenen artikel, viel mehr noch allerdings über den verärgerten kommentar,der die situation in einer äußerst klaren weise ABSCHLIESSEND zusammenfasst. ich schließe mich da der forderung an, diesen unsinn sofort zu unterlassen und würde mich eventuell sogar politisch engagieren, um solche kunst gesetzlich zu verbieten.