Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

HAMBURGINSERT – NEVER THE SAME COLOUR

Insert in dreifacher Hinsicht

13. Dezember 2010 von Niele Büchner
Abbildung zu
Ausstellungsansicht im Kunstverein Harburger Bahnhof (Foto: Heiko Karn)
Die Ausstellung Insert wird ihrem Titel in dreifacher Hinsicht gerecht: sie ist erstens Bestandteil des institutionsübergreifenden Ausstellungsprojekts "Channel TV", zweitens ein konkreter Eingriff in die Räumlichkeit des Kunstvereins und drittes ein Einschub in die Ausstellungsreihe "Gefangenes Zimmer" des Kunstvereins.

Zunächst sticht die räumliche Inszenierung ins Auge, die dominiert wird von drei Meter breiten Stoffbahnen mit Lochrasterung, die an der holzvertäfelten Decke aufgehängt sind und dem Raum eine parzellenartige Ordnung geben. In der Mitte des Raumes befindet sich zudem ein zentrales Raumelement, das als Ausgangspunkt für die Ausstellungsreihe "Gefangenes Zimmer" dient. Für die aktuelle Ausstellung öffnen Karn/Mayer/Schlüters das Zimmer, indem sie die Vorder- und Rückfront jeweils zur Hälfte entfernen und durch die Positionierung von Diaprojektoren außerhalb des Grundrisses eine Aufhebung des Innen-Außen Eindrucks bewirken. Das Zimmer wirkt nun wie ein Korridor, der die Blick- und Gehrichtungen lenkt. Er wird durch zwei Diaprojektoren bespielt, die auf die ihnen diagonal gegenüberliegende Wände einzelne Farben des im Fernsehen verwendeten Farbspektrums projizieren.
Im Eingangsbereich gibt es einen weiteren künstlerischen Eingriff, der erst beim Blick aus dem Raum zurück auf den Eingangsbereich in seinem vollen Ausmaß erkennbar wird. Beginnend mit einer Kopie eines Lichtpunktes der Nipkowschen Scheibe ziehen sich diese immer grobflächiger werdenden Punkte als Wandkopien an der geschwungenen Eingangsrampe entlang, bis sie zu einem verschwommenen, abstrakten, pixeligen Muster werden. Der Effekt dieser Vergrößerung ähnelt dem Näherkommen eines Fernsehbildes: das geschlossene Bild splittert sich auf, wird gerastert und in seine einzelnen Farbelemente zerlegt.
Mit der Ausstellung "Insert" setzen sich die Künstler Karn/Mayer/Schlüters – die hier als Gruppe agieren – mit den Frühformen des Fernsehens auseinander. Ihr Interesse liegt auf den Versuchen Licht zu bündeln und Bilder zu übertragen, wie sie durch Fernsehpioniere wie Paul Nipkow und die von ihm erfundene Nipkowsche Scheibe erprobt wurden. Dieser bemerkte 1883 bei der Betrachtung einer flackernden Kerze mit zusammengekniffenen Augen, dass nur noch Strahlen zu sehen waren, die sich in einzelne Punkte auflösten und letztlich wieder ein klar erkennbares, vollständiges Bild ergaben. Daraus schloss er, dass Licht sich zerlegen und wieder zusammensetzen lässt. Indem er zwischen Lichtquelle und abzubildendes Objekt eine Scheibe mit spiralförmig angeordneten Löchern stellte – die Nipkowsche Scheibe – entwickelte er das Prinzip der zeilenweisen Bildabtastung. Diese Technik wurde mechanisiert und nach dem ersten Weltkrieg zur elektrischen Überragung von Bildern verwendet, jedoch von der von Manfred von Ardennes entwickelten Übertragungstechnik mit Kathodenstrahlröhren verdrängt. Der 1935 in Betrieb genommene erste öffentliche Fernsehsender der Welt wurde trotzdem in Anlehnung an den ursprünglichen Erfinder "Fernsehsender Paul Nipkow" genannt.
Die Ausstellung knüpft mit diesen inhaltlichen Verweisen aufs Fernsehen thematisch an das parallel stattfindende Projekt "Channel TV" an, ein Kooperationsprojekt zwischen dem französischen Centre des Arts cneai, Chatou bei Paris, der Halle für Kunst und dem Kunstverein Harburger Bahnhof, das sich aktuellen künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Medium Fernsehen widmet. Dieses Projekt ist wiederum Teil des umfangreichen Austausches "Thermostat" zwischen 24 französischen und deutschen Kunstvereinen. Neben Veranstaltungen zum Thema ist das Projekt im Kunstverein in Form von Bildschirmen im Magazin-Raum des Kunstvereins präsent, auf denen das entstandene Fernsehprogramm zu sehen ist.
Das Aufgreifen der technischen Anfänge des Mediums Fernsehens erfolgt auf inhaltlicher und materieller Ebene und wird ergänzt durch ortsspezifische Einschübe und Verweise auf den Ausstellungsraum – einen ehemaligen Wartesaal der ersten Klasse – und die vorangehende Ausstellungsreihe "Gefangenes Zimmer". Als Schnittstelle fungiert die Strukturierung der Wahrnehmung, die durch die Rasterung des Lichts und des Blickes – im Fernsehen wie in der Ausstellung vorgenommen wird.
Die Eingriffe sind damit meist doppelt lesbar: so strukturieren die Lochtüll-Bahnen einerseits den Raum und sind anderseits eine Übersetzung des Scheibenprinzips von Nipkow. Wie diese rastern sie die Wahrnehmung, fokussieren sie auf einzelne Punkte und führen gleichzeitig zu ihrer Abstraktion. Weniger in den Raum eingreifend wie die Stoffbahnen als ihn kontextualisierend ist ein vor Ort gedrucktes zwei-blättriges give-away. Es ist mit einem Zitat von Rudolf Arnheim bedruckt, in dem er 1936 seiner Begeisterung über das neue Medium Fernsehen Ausdruck verleiht: Dieses vermag Bilder und Geschichten aus unterschiedlichen Zeiten und Orten miteinander zu verknüpfen – eine Eigenschaft, die auf gewisse Weise auch der Bahnhof als Transitort erfüllt.
Diese Doppeldeutigkeit ist einerseits die Stärke der Ausstellung, weil sie die Ebenen zum Oszillieren bringt und Referenzen zwischen Raum und Thema herstellt, anderseits aber auch ihre Schwäche. An einigen Stellen bleibt die Ausstellung in ihrem Status als Einschub/ Insert stecken. Durch das Verfolgen und Aufgreifen unterschiedlicher Phänomene und Themen verliert die Ausstellung an Konzentration. Der produktive Zwischenzustand, in dem die Ausstellung angesiedelt wird und den sie durch ihre vielfältigen Referenzen aufgreift, gerät dort zu ihrem Nachteil, wo die Ausstellung im Verfolgen verschiedener Stränge ausfranst. Dass es ihr gelingt, den Raum in seiner Monumentalität zu strukturieren und neu erfahrbar zu machen, ist ihr dennoch hoch anzurechnen.