Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

BONNANNETTE KELM & MICHAELA MEISE: HALLO ABER

Hallo, aber egal

1. März 2012 von Olaf Mährenbach
Es ist doch erstaunlich, welch widersprüchliche Erwartungen an Gruppenausstellungen geknüpft sind. Auf der einen Seite soll ein gemeinsamer Rahmen sichtbar sein, ein thematischer Zusammenhang, eine verbindende Erzählung. Auf der anderen Seite muss jeder Künstler als Einzelner erkannt werden, eine Handschrift sichtbar, der individuelle Kosmos des Protagonisten spürbar sein. Letzteres ist sicherlich ein Resultat der ungebrochenen Forderung nach dem Künstler als Individualist, und damit letzten Endes: als Genie.
Eine mögliche Lösung dieses Dilemmas könnte in wirklicher Kooperation liegen. Ein gemeinsames Projekt, bei dem alle Teilnehmer auf die Präsentation individueller Arbeit verzichten und versuchen als Gruppe sinnvoll zu Arbeiten. Diesem Vorgehen begegnet man leider äußerst selten und auch in der Ausstellung des Bonner Kunstvereins, die vor einer Woche zuende ging, wird nur teilweise davon Gebrauch gemacht. "Hallo, aber" bestand aus einer Präsentation von Annette Kelm, einer von Michaela Meise und einer von Annette Kelm und Michaela Meise. Die architektonische Situation im Kunstverein zeigte sich unverändert als großer Hauptraum in den in der Mitte ein weiterer, kleiner Raum eingezogen war. Im Außenraum präsentierten die beiden Künstlerinnen Wandmalereien, die von einem Plakatmaler angefertigt wurden und als Zusammenarbeit zu lesen waren, während es im Séparée in der Mitte individuelle Arbeiten beider zu sehen gab.

Die Präsentation im mittleren Raum krankte am schon erwähnten Problem, an sich unzusammenhängende Arbeiten in einem gemeinsamen Kontext erscheinen zu lassen. Natürlich bildete sich, wie überall, auch dort ein Zusammenhang, doch blieb der oberflächlich und krampfhaft herbeigeredet. Im Begleittext wurde zutreffend von einer "Zelebrierung der Reichhaltigkeit und Vielschichtigkeit des Bildes" gesprochen. Das Dumme ist nur, dass diese Feier immer und überall stattfindet, sobald Bilder bewusst ausgestellt oder rezipiert werden.
Die Wandmalereien im Außenraum trafen eine verwandte Problematik. Sie stellten Gemälde von Gainsborough, Paisleytücher (die Anette Kelm manchmal in ihren Bilder verwendet), Platten- und Buchcover dar, außerdem waren die vier großen Pfeiler des Raums in den Farben Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz (CMYK) gestrichen. Zwar wurde hier nun tatsächlich Zusammenhang zwischen den einzelnen Elementen und künstlerischen Motiven suggeriert, trotzdem fehlte – und das ist das zweite Problem dieser Ausstellung – eine lesbare Verbindung, die über die oben erwähnte "Feier des Bildes" hinausginge.
Lesbarkeit definiere ich als das Vorhandensein von mindestens einer der folgenden beiden Vorraussetzungen. Entweder sind 1. die künstlerischen Entscheidungen in einer Präsentation prinzipiell nachvollziehbar und transparent, oder 2. eine ansonsten kryptische Ausstellung bietet eine erkennbare ästhetische Schlussfolgerung.
Auf Lesbarkeit kann zwar in Teilen auch verzichtet werden, jedoch bleibt eine letzte Bedingung, sozusagen eine Spur der ersten Form der Lesbarkeit, die eine Ausstellung mindestens aufweisen sollte: Die teilweise Sichtbarkeit der gedanklichen Wege oder der getroffenen Entscheidungen. Wenn auch das nicht zutrifft bleibt eine Ausstellung im Zustand des volkommenen Rätsels. Nicht eines interessanten Rätsels (denn das würde teilweise Lesbarkeit vorraussetzen) sondern eines Rätsels das noch nicht einmal in das Begriffspaar Interesse/Desinteresse einzuordnen ist: eine nebulöse Indifferenz.
Die Ausstellung von Kelm und Meise, inklusive ihrer jeweiligen Einzelpositionen, durchbrach diese Rätselhaftigkeit an lediglich drei Stellen: Erstens die Paisleytücher, die eine Verbindung zu Kelms Fotografien herstellen, zweitens der durch die CMYK-Farbgebung erreichte, ungenaue Verweis auf drucktechnische Erzeugnisse (was Platten- und Buchcover nunmal sind) und drittens der Identität des Plakatmalers. An einer Stelle der Ausstellung hatte er sein Logo angebracht und beim Verlassen des Gebäudes des Kunstvereins fiel auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Brandmauer auf, welche auch von ihm bemalt und deshalb mit seinem Logo versehen ist. Aber auch das sind nur singuläre Verbindungen, die sich nicht in eine größere Struktur einbetten lassen.
Und das, Entschuldigung, ist einfach nicht genug. Dauernd werden irgendwelche Kontexte geöffnet und ohne benennbaren Zusammenhang nebeneinander gestellt. Man spürt die Nähe zum ultimativen Rätsel (s.o.), die wenigen nachvollziehbaren Assoziationssplitter reichen längst nicht zu ansatzweiser Klärung. Ist das interessant? Aber nein.

Kommentare

#1) Am 4. März 14:45 um Uhr von januarius zick

ein sehr guter artikel, der ein grundlegendes problem, zum erstenmal ins licht der öffentlichkeit rückt. ich beschäftige mich jetzt seit einigen mit kunst in der brd und war von anfang an der überzeugung das gruppenausstellungen, wie die oben so herrlich auseinandergenommene, auf mehreren lügen und grundsätzlich falschen parametern des austellungsbetriebs beruhen. deswegen riefen diese immer stärksten unmut bis hin zu hass und verachtung in mir hervor. dieser artikel ist wie eine späte genugtuung für mich. macht er doch endlich klar das kunst und demokratie eben nicht zueinanderpassen. auch kunst und hässlichkeit nicht. und kunst und unsinn sowiso nicht. trotzdem teile ich die auffassung (die ich ihm unterstelle) des autors, dass sich das künstlerindividuum aufgelöst hat und deswegen die frage, wie man die erkenntnisse und das können verschiedener künstler bündeln kann, um so dringlicher ist. meines wissens verlorenen in den 60ern die bilder ihren rahmen (mit ausnahme von ad reinhards), so dass es eigentlich gar nicht mehr möglich ist etwas anderes zu tun, als entweder eine einzelausstellung, für die man alleine die verantwortung übernimmt, oder mit kollegen, die genügend interesse an überindividuellen problemen haben, einen grausamen titanen mit mehreren gehirnen zu züchten. das fehlen des rahmens hat nämlich dazu geführt, das der von allen so häufig besungene, aber anscheinend nicht verstandene "raum" sichtbar geworden ist, der kälte, klarheit und verbindlichkeit fordert. seit monets orangerie sind da einfach standarts gesetzt worden, die leider niemand bemerkt, als allerletztes natürlich kuratoren und andere "freunde" der kunst. diese standarts und diese unerbittlichkeit des raums macht dann solche ausstellungen, wie die oben beschriebene auch so peinlich. ich kenne den raum des bonner kunstvereins und weiss, das er sehr anspruchsvoll und selbst einen guten künstler vor allergrößte schwierigkeiten stellt. wenn man ihn nicht respektiert, wie frau kelm und frau meise, dann rächt er sich, indem er die geistige armut, der kunstwerke schonungslos für alle sichtbar macht. wie feierlich...

#2) Am 4. März 15:06 um Uhr von januarius zick

mit "seit monets orangerie" meine ich, das auch für "moderne kunst" ein code besteht, der gelernt und der erweitert werden kann.

mit "seit die bilder ihren rahmen verloren" meine, dass gruppenausstellungen notwendigerweise entweder inkonsequent sind, weil sich die auras der verschiedenen "exponate" miteinander vermischen und zu einem unerträglichem brei werden oder regressiv weil noch der rahmen behauptet wird, was einfach nur hängengeblieben ist. rahmenspasties verpisst euch aus der öffentlichkeit und geht in euer wohnzimmer, in die arztpraxis, da wo ihr hingehört!

#3) Am 5. März 11:06 um Uhr von zyklop

Manchmal habe ich den Eindruck, das sich im Windschatten von einstigen reaktionären "Das kann doch ein Kind, das ist doch keine Kunst!"-Diskussionen über die Kunst der letzten 50-100 Jahre einerseits, und deren Abwehr durch Avantgarde, Kunstwissenschaft und Künstler andererseits längst ein Feld völliger Beliebigkeit etabliert hat, bei dem dann niemand mehr aussprechen mag, wenn der Kaiser garnix an hat, um eben nicht den reaktionären und neokonservativen Kunst-Diskursen in die Hände zu spielen. Da wird lieber ganz auf kritische Kritik verzichtet, sobald nur ein Name paarmal aufgetaucht und hochgenetzwerkt und mit Preisen, Stipendien, instutionellen Ausstellungen und ähnlichem Flitter behängt wurde. Stattdessen schreibt man voneinander ab und geht lieber auf Nummer sicher - könnte ja sein, dass doch etwas unglaublich Schlaues oder Feines dahintersteht, was man selbst blos nicht sah, dann will man sich ja keine Blöße als Banause geben! Denn jeder sieht ja auch was anderes darin, vielleicht hatte ein Anderer ja die Lösung. Warum also ins Blaue hinein kritisieren und sich diesem Wagnis aussetzen?

Man hätte ja dann nicht nur Künstler, Galerie und Umfeld gegen sich, sondern auch alle vorherigen Förderer, Käufer, Aussteller, die man so ja der Dummheit und Oberflächlichkeit und mangelhafter Urteile zeihen würde. Man spräche ihnen Deutungshoheit ab. Damit täte man sich keinen Gefallen, sind erst einmal mächtige Player im Spiel.

Der Kunst und den Künstlern tut man so aber auch keinen Gefallen. Letztlich ist das aber eher Problem derer, die über Kunst schreiben, sie ausstellen, sie kaufen und verkaufen, und ihr zu Bedeutung verhelfen oder nicht.

#4) Am 5. März 11:07 um Uhr von zyklop

Fortsetzung:

Natürlich kann man auch so eine Ausstellung machen, unlösbare Rätsel hinstellen, bluffen, soziale Mechanismen klug benutzen. Bezüge nur suggerieren, irgendwas malen, fotografieren, bauen, hinstellen. Gut angezogene Menschen halten dann Sektgläser in der Hand, betrachten es angestrengt, und sagen schließlich: "Toll!"

Den Künstlerinnen selbst ist hier also schlecht ein Vorwurf zu machen. Ich denke, das ist auch immer ein ziemlicher Spaß, so mit diesen Regeln, diesen Institutionen und diesem Publikum zu spielen. Auch das ist eine Kunst. Damit durchzukommen. Kleine Dinge, die einen interessieren, an dem ganz großen Nagel aufzuhängen, Aufmerksamkeit zu generieren, das Publikum macht ah und oh. Viele Sachen aus den "Nuller"-Jahren (sic) und danach funktonierten genau so.

Inquisitionsartig befragen würde man aber gerne mal jene "Gatekeeper", die das immer durchgewunken haben und mit Orden und Ehrenzeichen, Lametta und länglichen Labertexten versehen haben, um es so zu dieser scheinbaren Bedeutung aufzublasen - die dann scheinbar doch keiner so recht erklären kann. Wer hat denn bisher über die publiziert, und was wurde da geschrieben?

Vielleicht ist diese Erfindung vermeintlicher Bezüge und Lesbarkeiten ja auch die eigentliche Kunst bei all dem, vielleicht sind hier ja auch längst die Kuratoren und Katalogtexteschreiber die eigentlichen Künstler, und die Hersteller der Artefakte eher Subunternehmer davon, oder selbst Readymades.

Jedenfalls ist klar, dass, obwohl in der Ausstellung selbst Sprache so gut wie garnicht auftaucht, solche Arbeiten vor allem durch Sprache funktionieren - Sprache im "Drumherum" der Kataloge, Ansprachen, Würdigungen, Preisreden und Galerie- und Künstlergespräche. Und das kuriose ist, nach all dem ganzen Reden darüber bräuchte es die eigentliche Ausstellung gar nicht mehr, sie könnte auch als reine literarische Fiktion existieren.

#5) Am 5. März 19:21 um Uhr von Redaktion

Aufgrund eines technischen Fehlers waren die einzelnen Absätze dieses Artikels leider in einer falschen Reihenfolge. Seit heute Nachmittag ist das Problem aber behoben und wir bitten Sie diesen Fehler zu entschuldigen.

Die Redaktion von Donnerstag

#6) Am 7. März 15:42 um Uhr von januarius zick

interessante fussnote des zyklopen, die geschichte der avantgardistischen kleider des kaisers hat sich mir auch immer wieder aufgedrängt und ich kenne die situation im volk am wegesrand zu stehen und aus furcht nichts zu sagen. diese situation ist häufig grotesk, weil sie anscheinend auch alles assimilieren kann, was kritisches potenzial haben könnte, so werden ja glaube ich die philosophen am meisten zitiert, die diesen zustand klar benennen. foucault zum beispiel, mit seinem kontrollregimes , aber damit kenne ich mich nicht genügend aus, vielleicht könnte jemand, der das tut eine verknüpfung wagen. es ist chic kritisch zu sein, was auch dem donnerstag.blog zum verhängnis werden könnte. das hat etwas dämonisches. wie auch immer folge ist in jedem fall, dass künstler immer weniger einfluss auf kunst haben und die oben beschriebene readymade schattenexistenz führen, was meinen beobachtungen nach zwei gründe hat. die eine teil der künstlerzunft ist psychisch gestört, nur auf zerstreung aus und völlig willenlos aus dummheit und dauerrausch, das ist dann auch der teil der belegschaft der zwischen sektgläsern und anzugträgern für die notwendigen grad an verruchtheit sorgt, ab und zu ein kleiner skandal, eine nase amphetamin legen in der toilette. der andere teil ist meistens normal intelligent und und handelt aus kalkül und angepasstheit, meistens etwas hübscher und immer eloquent auch in fortgeschrittenen stadien des abends, sind mir diese connaisseure, noch etwas verhasster, weil sie sich bei vollem bewusstsein, dafür entschieden haben, die welt mit ihrer unerträglichen langeweile zu belästigen und die macht der künstler noch weiter zu schwächen. manche geben sich sogar auch noch mühe, bis hin zu leuten die sich in manische arbeitsprozesse hineinsteigern, was wahrscheinlich aus "anständigkeit" passiert. dieser biederen spielart, steht dann der sogenannte bobo (bohemian und bourgeois gleichzeitig) gegenüber, der üblicherweise fast nichts macht und den gestalten aus dem märchen am nächsten kommt. das ganze dilemma ist denke ich aus dem völlig geisteskrankem versuch entstanden "moderne kunst" (avantgarde) institutionalisieren zu wollen, natürlich ohne einfluss auf die "normalität", also ungefähr wie ein zoo. das ist schon depremierend genug, jetzt sind eben bloß seit den nuller jahren, aus irgentwelchen gründen die raubtiere abgeschafft worden. den respekt für die beiden betrüger, die mit ihrer mode durchkommen, teile mit dem zyklopen, besonders imponiert mir die frechheit und das sie eben nicht rot werden beim lügen, aber die sache, der traum von einer WIRKLICH einflussreichen, anständigen institution ist wichtiger, deswegen fliegen jetzt auf die schuldigen schurken die ersten steine. einer der namen der schneider lautet christoph westermeier.

#7) Am 7. März 15:55 um Uhr von januarius zick

habe gerade gemerkt, das es ganz schön verwirrend sein kann steine auf schatten zu schmeissen.