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HAMBURGCHARLEY HARPER

Lieber keine Kunst

28. August 2011 von Erik Stein
Kunst ist sowenig zeitlos wie Bildrezeption im Allgemeinen. Gleichwohl lohnt die Unterscheidung zwischen Beiden über Akademia hinaus, wo die Bildwissenschaft von der kunstgeschichtlichen Enklave längst zu einem ernstzunehmenden Alternativdiskurs heranreift. Im Gegensatz zum leergelaufenen Kunstdiskurs, der sich an den verzehrenden Totalitäten der Moderne überarbeitet zu haben scheint, agiert die Bildwissenschaft fernab von Burnout und historischen Endlagerungsproblemen. Und gibt es überhaupt noch einen ernstzunehmenden Kunsthistoriker oder -theoretiker, der nicht auch Ausflüge in die visuelle Kultur des Alltags unternähme? Sind nicht sogar ihre interessanteren und scharfsinnigeren Aufsätze oft diejenigen, die ihren Gegenstand jenseits der Kunst verorten? Wenn dem so ist, könnte doch die zeitgenössische Kunst ganz gut beraten sein, als Reflekionsmedium vorübergehend zu pausieren und sich für einige Zeit in stationäre Behandlung zu begeben. Dass es schlecht um sie bestellt ist, stellt schließlich kaum jemand in Abrede.
So gesehen ließe sich die aktuelle Ausstellung von Charley Harper im Hamburger Kunstverein als die hellsichtige Erwiderung auf Tomma Abts gegenwärtigen Kunstversuch in der Düsseldorfer Kunsthalle lesen (siehe Beitrag von Michael Staiger). Nicht weil sie in irgendeiner Form mehr, oder überhaupt erst künstlerische Zeitgenossenschaft plausibel machen könnte, sondern weil sie es gar nicht erst versucht. Charley Harper (1922-2007) war Illustrator und Grafiker und die Ausstellung macht auch keine Anstalten etwas anderes zu behaupten. Selbst die Beipackzettel des Kunstvereins verzichten weitgehend auf größere metaphysische Beschwörungen und sogar gänzlich auf die üblichen kunsthistorischen Vorwände. Der Amerikaner Harper, dessen Grafiken hauptsächlich für Kinderbücher und Magazine entstanden, wird schlichtweg als Bildermacher vorgestellt, dessen geometrischen Tierdarstellungen eine eigenwillige, bestechend harmonische Charakteristik ausweist. Es ist kein Anspruch zu erkennen, die philosophische Dimension des Tieres zu erörtern (und gewiss, Deleuze et al. lieferten auch hierzu genügend Zitatmaterial) oder aus der Geometrie der Bilder die Verrechnung der Natur herauszulesen – die Schau genügt sich in der Aufbereitung von rund 60 formal bemerkenswerten und eigensinnigen Tierdarstellungen.
Der Künstler ist kein avantgardistischer Prophet, er ist ja nicht einmal mehr Künstler. Auch der Kurator spart sich den großen Weltentwurf – sein Entwurf ist allein der eines Bühnenbilds für eine ausgewogene Auswahl von Siebdrucken und Illustrationen. Es gibt ebenso wenig wie bei Tomma Abts in Düsseldorf einen Bezug auf den Raum oder die beherbergende Institution. Der Raum wird als Kulisse eingenommen und hergerichtet, wobei die blauweiße Fototapete mit Landschaftsmotiven wie auch die braunen Holzrahmen Anleihen an das Heimelige eines Wohnzimmers nehmen. Die Methode erinnert an den Privatismus der „Hamburger Träumer“, die ihre Bildwerke gleichermaßen einkapseln (siehe Artikel zu Monika Michalko): Man fühlt sich wohl, man kann seine Kinder mitbringen, für die sogar ein kleiner Tisch im Raum steht, und ihnen die Tiere zeigen. Ein grafischer Zoobesuch – was wäre dagegen zu sagen?
Diese Ausstellung ist also nicht der große Wurf, aber sie geht einem erstaunlich wenig auf die Nerven. Sie bevorzugt einen kindlichen Blick, der die Geschichte vernachlässigt und sanftmütigen Fragen von Komposition und Farbharmonien nachhängt. Das ist weltabgewandt und allein auch keine belastbare Alternative zum künstlerischen Diskurs. Florian Waldvogel, seit gut zwei Jahren Direktor des chronisch unterfinanzierten Hamburger Kunstvereins, scheint jedoch langsam zu seinem kuratorischen Profil zu finden, als er immer wieder außerkünstlerischen Akteuren die Hallen öffnet: Grafikern, Werbefotografen, Bildarchiven, Bildgeschichten, Bildgeschichte. In ihrer Gesamtheit erscheinen die so aufgeworfenen Bilderwelten der Reflektion schließlich mehr Raum zu liefern, als das oft dürftige und vielfach unterkomplexe Angebot zeitgenössischer Künstler. Der Kunstverein scheint gelangweilt von der Kunst und hat die Konsequenzen gezogen. Das ist allemal besser als Arbeiten wie der von Tomma Abts in abstruser Weise Kunstwürdigkeit anzutragen.