Billige Pub-Teppiche haben mit schleierhaften Haremsphantasien wenig zu tun. Die kanadische Künstlerin Shannon Bool schafft Verbindungen zwischen augenscheinlich Artfremdem und bedient sich dabei bei poststrukturalistischen Philosophen wie Gilles Deleuze. Nichts wirkliche Neues; dennoch ist Bools erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland in der Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst ästhetisch recht gelungen.
Erst mal ein Glas von der „Fasel-Liese“: Gleich zu Beginn der Ausstellung „The Inverted Harem I“ von Shannon Bool konnten sich die Besucher an der Bar-Installation mit Äpfeln und Sekt eindecken. „So bekommt man einen leichteren Einstieg ins Gespräch über die Kunst“, erklärt Kuratorin und GAK-Direktorin Janneke de Vries. Aufgefallen ist das leider kaum jemanden, die Bar in der Ecke wirkt, als würde sie nicht zur Ausstellung gehören und wird so links liegen gelassen.
Neben der „Bar“ gibt es weitere Anspielungen auf einen Pub: „Pub Stair Carpet“ ist eine mit billigem Teppich beklebte Treppe, die aus der Wand kommt und als Raumteiler wirkt. Bool entlieh das orientalische Teppichmuster einem Musterbuch für Pub-Teppiche und ließ das Stück in Anatolien traditionell von Hand weben. Wie eine Ausweitung liegt ein weiterer Teppich in der Mitte des Raumes. Seine Muster hat Bool von einer Tischdecke in einem niederländischen Gemälde aus dem 15. Jahrhundert adaptiert, mitsamt der perspektivischen Verzerrung. Auch diesen Teppich hat Bool in Anatolien knüpfen lassen; ein weiterer Orientbezug, und auch das niederländische Gemälde selbst zeigt morgenländische Ornamentik. Soweit der orientalische Bezug zum Harem. Der Großteil der anderen ausgestellten Arbeiten dreht sich um erotische Sinnlichkeit; immer wieder spielt Bool auf Weiblichkeit an. Drei Striptease-Stangen aus Metall ragen vom Boden in die Decke des Raumes und glänzen blankpoliert. Eine ist einem Modell aus Pamela Andersons Schlafzimmer nachempfunden (dass Bool und Anderson aus derselben Stadt kommen spielt dabei keine Rolle). Das zweite Exemplar ist mit metallenen Tannenzapfen verziert; eine phallusförmige Anspielung auf Fruchtbarkeit. Die dritte Stange ist eine fragile Konstruktion aus zwei Teilen, die mit ihren Spitzen aufeinander stehen. Die so entstandene Sanduhrform erinnert an die Silhouette eines weiblichen Körpers.
Die Kanadierin Bool, die unter Anderem in der Saatchi Gallery ausstellt, sagt, sie nutze Philosophie und Geschichte als Inspirationsquellen. In ihren Collagen, Gemälden, Photogrammen und Teppichen spielt sie mit Kontextverschiebungen und verarbeitet das fast beliebig oder zufällig wirkende Konstrukt unserer Wirklichkeit. Poststrukturalistisch befasst sich die Künstlerin damit, wie Ansichten von ein- und derselben Sache sich in unterschiedlichen Kulturkreisen und Epochen völlig unterscheiden können. Nur ein Beispiel dafür ist der Harem, Namensgeber der Ausstellung. Hier steht unsere westliche Projektion morgenländischer Realität gegenüber. Gilt er im Morgenland oftmals als geheimnisvoller Ort erotischer Phantasien, war er in Wahrheit wohl auch Zentrum harter Politik. Und es weisen nicht nur die Striptease-Stangen und orientalischen Teppiche auf den Harem hin. Die ausgestellten Gemälde wirken gleich vielen Arbeiten Shannon Bools wie verschleiert. Die pastellig verlaufenden Ölfarben sind dünn auf dem Malgrund Seide aufgetragen und das Licht spiegelt sich in der darunterliegenden Glasscheibe. Die gedeckten Töne in Rotbraun, Ocker, Petrolblau und Gelbgrün bilden hier und da dicke Tropfen und lassen die Bilder aussehen, als wären sie im Regen gelegen. So in der Arbeit „Kali“: Die hinduistische Göttin des Todes und der Zerstörung bleckt ihre lange, blutrote Zunge und reißt ihre vier Arme in die Luft. Über das mit dicken Pinselstrichen gemalte Motiv zieht sich braune Ölfarbe in dünnen Bahnen. Die Wirkung, die damit erzielt wird, ist dass das Gemälde alt wirkt, wie aus einer anderen Zeit und von einem feuchten, warmen Ort. Das Sujet der Arbeit ist erneut ein klarer Hinweis auf die übergreifenden Themen „fremde Welten“ und „Weiblichkeit“, denn die barbusige Kali ist neben der Todesgöttin auch „allmächtige Mutter“. Die gewählte Technik Seidenmalerei kann wohl als Anspielung auf die klischeehafte Frauenbeschäftigung verstanden werden.
Neben einigen weiteren Gemälden, die eine ähnlich weich-verschwommene Wirkung haben, fällt im Raum besonders eine Fotokollage in schwarz-weiß auf. Hier ist das ursprünglich ganz in weißem, weichem Angora designte Schlafzimmer der Frau des Architekten Adolf Loos zu sehen. Loos entwarf das Zimmer ohne Schmuck; er war erklärter Ornament-Gegner. Ein Kontrast zu den orientalischen Teppichen, durch die Weichheit des Angoras aber ein Hinweis auf das Thema „Weiblichkeit“. Diese wird von Bool durch eine von ihr zum metallenen Androiden umgestaltete nackte Frau gebrochen, wie es die glänzenden Striptease-Stangen zwischen den Schleierbildern tun.
Die Verbindung von augenscheinlich Artfremdem ist wirklich nichts Neues in der Kunstwelt. Fast jeder Künstler arbeitet mit diesen Verschiebungen und das nicht erst seit gestern. Dennoch schafft es Bool auf sehr ästhetische Weise, eine leichte, schleierhafte Atmosphäre mit ihren Haremsbildern zu schaffen. Man kommt ins Nachdenken und je länger man genau das tut, wirken die von ihr erzeugten Bezüge immer interessanter und weniger konstruiert.