Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

HAMBURGDIPLOMAUSSTELLUNG DER HFBK HAMBURG

Bonjour Bedeutungslosigkeit

8. März 2011 von Richard Pauli
Der Wanderer über dem Nebelmeer hat sich abgewandt, in doppelter Weise. 1818 blickte er noch über nebelverschlungene, bizarre Sandsteingebirge in die Ferne-Weite-Himmel-Welt und vielleicht sogar dahinter. Es war ein Blick nach außen, der auch das Innen reflektierte. 2011 nun bleibt vom Wanderer im Sonntagsrock nur eine Fimo-Adaption. Gesicht zeigt die Rückenfigur immer noch nicht, jetzt aber blickt sie in eine weiße Ausstellungswand. Es gibt keine verheißungsvolle Aussicht mehr, sondern nur noch einen Blick auf und in die White Wall, von dort dann möglicherweise noch zur Kunst und ihrem Publikum – doch der Wanderer ist der Welt abhanden gekommen
Diese kleine, zurückhaltende Arbeit von Young-Jin Song ist programmatisch für die diesjährige Diplomausstellung an der HfbK Hamburg, die nach fünftägiger Öffnung gerade zu Ende gegangen ist. Tendenz: Weltabwendung. Was nicht heißt, daß die diesjährigen Absolventen sich in ausgeprägter Ichbeschäftigung verwickelt oder sich schildkrötenartig verinnerlicht hätten. Nur die Leidenschaften des Realen zünden nicht mehr bei den diesjährigen Absolventen. Die von Erik Stein in "Weck mich nicht!" diagnostizierte Flucht in Privatismen beherrschet das Bild. Da reihen sich beobachtete Materialuntersuchungen oder Gegensatzbeschäftigungen aneinander, wie man sie auch als Allesodernichtsthemen aus den Aufnahmeprüfungen der deutschen Kunsthochschulen kennt: "Dekonstruktion und Konstruktion", "Verstecken und Enthüllen", "set up – tear down", "out of the dark – into the ligth", "weiß das Material, was es will oder tut es nur so".
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Bonjour Madame. Young-Jing Song hatte dieses bekannte Gesicht zur Diplomausstellung geladen.
Carl Gross etwa setzt seine Mutter auf den Sockel, von wo aus sie über seine stelzbeinigen Malereien wacht. Das ganze nennt er "Ex Matre", also aus der Mutter heraus wird gemalt und gebastelt, gewerkelt und installiert: Zerschmissene und neu zusammengesetzte Porzellanvasen (Christoph Wüsenhagen), staubanziehende Malerdecken und Gelatine auf Hartfaser (Julia Frankenberg), Meeresalgenknäuel immer wieder neu arrangiert und abfotografiert (Veronika Gabel) oder Tobias Kasper, der einen blauen Pullover der Marke X aus dem Film Y getragen von Z überhöht. Sägeblätter waren zu sehen, die als solche durch ihre spezifische Form noch kenntlich sind, ihren Gebrauchswert aber durch den Nachbau aus dünnen Holz verloren haben (Tina Kämpe). Erics Apalais, der das Alphabet der Malerei mit seinen Amöbenformen auf schwarzen Grund untersucht, kommt zu der Erkenntnis, daß viele Punkte eine Linie ergeben.
Die zweite Preisträgerin des hausinternen Diplomstipendiums, Christina Köhler, die mit ihren Krachbox-Konzerten und dem Grobmotorik Klavier mit einem Noiseumfang von einer Autohuboktave möglicherweise anerkannte Formen von Musik in Frage stellt (was ein alter Hut wäre), aber vielleicht einfach nur nerven will, dies aber eher durch den Retrochick ihrer Instrumentarien schafft. Ernsthafter wirkt dagegen der Ausstellungsraum von Julia Fuchs, in dem sie zwei schwere Kirchenbänke aus Eiche andächtig vor ihre Malerei platziert. Ein zusätzliches Sakralisierungsmoment schafft die Buntglasfensternachahmende Abhängung der Scheiben mit farbigen Pergament. Jedoch geht es Fuchs wohl nicht um die Adelung der Malerei in heilige Sphären, sondern um die knapp: Aus der Kirche kommt die Bilderkunst. Verena Isel wiederum entlockt für ihre "Adieu"-Ausstellung allerhand Schätze der Mülltone, die sie, zugegeben liebevoll, einen ganzen Raum einnehmend, drapierte und uns damit einen kindlich träumerischen Kosmos eröffnet. Und auch Balz Isler mit seiner Quicktime-Dj-Performance, die in ihrer Reduziertheit und Jetztmedialisierung nicht ganz so weltabgewandt daherkommt, besingt träumerisch die Welt hinter der Welt, während in neben und übereinander gelagerten Videofenstern beispielsweise ein Dackel vergeblich den Fuchs im Bau sucht, rotblaue Nebelstreifen bedichtet werden oder ein Bungeejumper auf den Fall wartet. Darunter eine einfache, bassige Melodei die schnell ins Ohr wurmt und die Szenerie vielleicht etwas zu gefällig gestaltet. Trotzdem, ein Lichtblick der diesjährigen Ausstellung.
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Ding-, Daten- und Klangsammler Balz Isler in Aktion.
Aus der Reihe tanzen einzig Julia Bonn und Luitgard Wagner mit ihrem nichtlinearen Buch, das scrabbleartig auf Pappsockeln ruht und Texte, Fragestellungen, Interviews, Gedichte zu Kunst, Kommunikation, Kommerz gepaart mit Audiobeiträgen versammelt. Ein Ereignis ist das von ihnen entworfene Spiel "Von der Begabung bis zum Ende der Kunst", daß für das Treppenhaus der Hochschule erdacht wurde. Vom Dachgeschoß bis zum Keller müssen die Teilnehmer in der Rolle vom Malerfürst bis zur Performanceemanze allerhand Aktionen und Ereignisse bestreiten, wie etwa ein Streifenbild malen oder das Gründen einer Künstlergruppe mit vielversprechendem Programm. Beim Erreichen der Mensa wird die Kunst und damit auch das Spiel kurzerhand für beendet erklärt.
Der Mensch sollte sich nicht ärgern über jenen trostlosen Kommentar einer ausliegenden Diplomarbeit, der besagt, daß in einer Welt der Anhäufung es ab und an erholsam sei, etwas zu tun, was nichts bedeute. Bonjour Bedeutungslosigkeit.