Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

Lesezirkel

Die Presseschau für Kunst und danach


#37) Presseschau vom 29. August 2012

Im Feuilleton der SZ wirft Christopher Schmidt einen Blick auf die Textproduktion der Documenta 13 und findet im Märchen ihr bevorzugtes literarisches Genre. Allerdings sei das Übermaß an Erklärtexten, Kommentaren und philosophisch-essaiistischem Beiwerk auch nicht unproblematisch: „Mag sich die Die Documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev auch einer nichtlogozentrischen Vision verschrieben haben – wer nicht lesen kann, bleibt hier dumm.“ Robert Fleck beklagt in der Kunstzeitung die Zweiteilung des Betriebs in Markt- und Kuratorenszene. „Diese beiden Welten der Gegenwartskunst führen nicht nur eine Art kalten Krieg, sondern auch völlig unterschiedliche Künstlerlisten.“ Alle großen Zeitungen besprechen die 12-Rooms-Ausstellung im Essener Folkwang, die dabei überwiegend positive Resonanz erfährt. Die FAZ fragt sich allerdings, ob nicht „eine Grenze erreicht [ist], wenn etwa ein Mädchen mit Downsyndrom ausgestellt wird wie ein Exponat“ und urteilt abschließend: „Vieles in dieser Schau ist besser als der Begriff, der ihre Exponate rubrizieren will.“ Gemeint ist die „Live Art“, die die Ausstellung im Untertitel führt. Die Welt am Sonntag porträtiert die Galeristin Barbara Weiss, von der sie weiß, dass sie „mit dem Kölner Museumsdirektor Kaspar König eine Ehe auf Augenhöhe führt.“ Catrin Lorch beschaut in der SZ die Sammlungen der Superreichen und macht dem künstlerischen Nachwuchs wenig Hoffnung auf Besserung: „ […] gefragt sind ohnehin international verständliche Konzepte: Malerei, elegante Videofilme, humorige Skulpturen. Intellektuelle One-Liner mit Wiedererkennungswert in der Nachfolge von Koons und Catelan.“ Apropos: Bei Art ist man Koons jetzt auf die Schliche gekommen.

#36) Presseschau vom 7. August 2012

Im gestrigen Feuilleton-Aufmacher der Welt ist Hans-Joachim Müller begeistert davon, wie die Documenta in der „unüberschaubaren Fülle ihrer Werke und Worte […] buchstäblich zergangen“ ist. Den damit einhergehenden Bedeutungsverlust begrüßt er als „strategische Abrüstung“ und „Entwertung des klassischen Ausstellungsinstituts als Werte schaffender Instanz.“ Und noch mehr freut ihn, dass sich die Documenta noch ein Stück weiter vom Kunstbetrieb entkoppelt habe: „Die Frauen aus der Westsahara [die auf der Documenta auf das Problem ihrer Staatenlosigkeit aufmerksam machen, Anm. d. Red.] werden wieder heimfahren, ohne einen Listenplatz im Kunstkompass erobert zu haben und ohne dass ihnen die Agenten des hungrigen Marktes auf Schritt und Tritt folgen.“ Georg Baselitz kann das nur recht sein. Wie er die Documenta nennt? „Paralympics“, antwortet er Gesine Borcherdt im Art-Interview. Um Welten weiser wirkt Kasper König, der im Interview mit der Printausgabe die Ausstellung als werteschaffende Instanz verteidigt: „Für mich ist die ideale Ausstellung verkörpert in der Werkbund-Schau, die 1927 in Stuttgart stattgefunden hat. Da ging es um ein ganz konkretes gesellschaftliches Problem: Wie geht man mit der wahnsinnigen Wohnungsnot nach dem ersten Weltkrieg um? […] Das ist es, was eine Ausstellung sein kann. Wenn sie nur zum Selbstzweck wird, dann ist das irgendwie blöd, oder?“ Im Streit um die Gemäldegalerie hat Cornelius Tittel ein paar alte Artikel von Eduard Beaucamp gelesen und Erstaunliches entdeckt.

#35) Presseschau vom 26. Juli 2012

Die Zeit eröffnet ihr Feuilleton heute mit einer Nacherzählung der „Sehgal-Sage“ und lässt Seghals neue Ausstellung in der Turbinenhalle der Tate von einer Gerichtszeichnerin dokumentieren. Autor Peter Kümmel ist völlig hingerissen vom Künstlersubjekt: „Zeugen berichten ehrfürchtig von der Konsequenz mit dem er dem Markt seine Gesetze aufzwingt.“ Gar nicht angetan ist Kia Vahland in der heutigen SZ vom „Ökofeminismus“ der laufenden Documenta. Statt „Meisterin“ Trockel habe im Zentrum der Schau ihre Schülerin, Kristina Buch, einen Garten arrangiert, der Schmetterlinge anlocken soll. „Diese Documenta will Tiere nicht mehr zum Thema machen, sie will ihnen gefallen und damit beim menschlichen Betrachter ein wohlig-gutes Gewissen erzeugen.“ Auch, dass Christov-Bakargiev die Frauen der Documenta als Expertinnen der Empathie für Tiere und Pflanzen inszeniert, missfällt der Autorin. Das tradiere ein „schon rührend reaktionäres Frauenbild: das der Kümmerfrau, die immer für alle zuständig ist, und seien es Straßenköter und Wildfrüchte.“ In der Kunstzeitung bemerkt auch Johanna Di Blasi, dass sich der Feminismus gerade von der Frauenfrage emanzipiere und „in den Dienst genderspezifischer oder im Fall der Documenta 13 sogar artenübergreifender Anliegen“ stelle. Eine Meinung hat die Autorin dazu allerdings nicht. Deutlich moniert dagegen im Inneren der Zeitung Karlheinz Schmid die fehlende Vision der Documenta. Mit Blick auf das Fridericianum heißt es flapsig: „Da hat offenbar jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht und glaubt, es genüge, unvermittelt mit Hitlers Handtuch, Monrandis Töpfen und allerlei anderen Utensilien der Geschichte zu konfrontieren.“ Auf den Brandartikel von Eduard Beaucamp in der FAZ reagiert Tim Ackermann in der Welt und verteidigt die Pläne für den Umbau der Berliner Gemäldegalerie. Denn: „Dass diese Stadt mehr als 65 Jahre nach Kriegsende und mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall noch immer kein Museum für die Kunst der Moderne hat, ist das größte kulturpolitische Versäumnis ihrer jüngeren Geschichte.“ Gestern starb der Österreichische Künstler Franz West. FAZ und SZ haben ihre Nachrufe bereits online gestellt.

#34) Presseschau vom 16. Juli 2012

Die Taz widmet Alighiero Boetti ein ausführliches Porträt, ignoriert dabei jedoch völlig dessen, offenbar ungesehene, New Yorker Retrospektive, die als Anlass des Artikels herhält. Gesehen hat Ingo Arendt dagegen die Ausstellungen zu Alfredo Jaar in Berlin und findet sie „hervorragend kuratiert“, die dargebotene Repräsentationskritik aber nicht mehr unbedingt zeitgemäß. Im Interview mit Art stellt Olafur Eliasson seine solarbetriebenen Taschenlampen für Entwicklungsländer vor, die er offenbar ernsthaft auch für einen gelungenen Halsschmuck hält. Für die SZ hat Tim Neshitov den Documenta-Ableger in Kabul besucht und erinnert angesichts der Arbeiten von Tacita Dean, Giuseppe Penone und Goshka Macuga an die Bedeutung zeitgenössischer Kunst beim Wiederaufbau der BRD. Catrin Lorch hat die „Doccupy“-Aktivisten vorm Fridericianum ins Visier genommen: „Mit der Geißelung von Neid, Geiz und Gier zeigen sich die Aktivisten jedenfalls nicht auf dem Stand des Diskurses – solche Laster wurden bereits in Buchmalereien des Mittelalters als Übel ausgemalt.“ In der FAZ feuert Altkritiker Eduard Beaucamp mit bewährter Schärfe gegen das „brachiale Planungsdesaster“ der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die die Alten Meister aus der Gemäldegalerie verbannen will. Den größten Druck auf die „alte“ Kunst übten die sich stauenden Massen zeitgenössischer Produktion aus. „Gegenüber der Moderne-Lobby sind die Alten Meister im heutigen Berlin fast schutzlos.“

#33) Presseschau vom 27. Juni 2012

Schicht im Schacht bei Artnet. Die internationale Auktionsplattform stellt ihre Redaktionsbüros in Berlin, Paris und New York überraschend ein. Das Magazin wird infolge dessen von der Webseite verschwinden: „Eine Million Dollar Verlust pro Jahr mit den drei Magazinen, das ist für die Aktionäre auf Dauer nicht hinnehmbar“, sagte Artnet-Gründer Hans Neuendorf gegenüber Art. Auch für Robert Fleck heißt es Abschied nehmen. Er war im Zusammenhang mit seiner Diverse-Anselm-Kiefer-Werke-aus-der-Sammlung-Hans-Grothe-Schau in der Bonner Bundeskunsthalle als deren Intendant in die Kritik geraten. „Dass man ausgerechnet Hans Grothe ehrt, wird in Bonn als Fauxpas empfunden. Schließlich hat der das gegenüberliegende Kunstmuseum vor wenigen Jahren schwer beschädigt, als er […] die in Bonn betreuten und bewahrten Leihgaben kurzerhand verkaufte.“, schrieb Catrin Lorch dazu in der SZ, nachdem sie nicht nur die Ausstellung, sondern auch Kiefer ordentlich abgewatscht hatte: Die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an diesen, sei z.B. weniger als ästhetische Provokation denn als „abgekartete Entscheidung eines Alt-Herren-Netzwerks“ diskutiert worden. Robert Fleck betonte indessen gegenüber Art, die Nichtverlängerung seines Vertrages sei seine Entscheidung gewesen. Er wolle sich mehr auf die Lehre an der Kunstakademie Düsseldorf konzentrieren. Vielleicht schielt er ja bereits auf ein möglicherweise bald freiwerdendes Rektorat. Erste zögerlich-kritische Stimmen zur Documenta gibt es auch. Sandra Danicke staunt in der FR über den Auepark und dessen „Schrebergartenmentalität, mit der hier Natur zur Anschauung gebracht werden soll: eingezäunt, eingetopft und im ungünstigsten Sinne des Wortes ausgestellt. Kein Gewächs oder Tier hier, dem nicht Menschen ihren Willen aufgezwungen hätten.“