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VORWORT ZUR NEUEN KOLUMNE

Sprechblasen

8. März 2012 von Anna-Lena Wenzel
Das Format des Ausstellungs- bzw. Pressetextes wird recht selten Gegenstand von Kritik oder wissenschaftlichen Untersuchungen – dabei wird über Anspruch und Sprachstil gern kontrovers gestritten. Deshalb sollen im Folgenden nicht die in den Pressetexten angekündigten Ausstellungen im Mittelpunkt stehen, sondern die verschiedenen Weisen, einen solchen Text zu schreiben. Dabei fallen nicht nur die unterschiedlichen Ansprüche, sondern auch Sprechweisen ins Auge.
Beispiel 1 – Der harmlose Klassiker
Den zu Monika Grzymalas Ausstellung in der Galerie Crone in Berlin darf man wohl als klassische Pressemitteilung bezeichnen, was sich u.a. an der üblichen Standartfloskel „Die Galerie freut sich…“ zeigt. Der einführende und lobende Text stellt Informationen bereit und ist dabei bemüht, die Künstlerin in ihrer Einzigartigkeit und Kunstfertigkeit hervorzuheben, was in diesem Fall durch Formulierungen wie „in bemerkenswerter Weise“ vorgenommen wird. Der Text wird mit einem Zitat (von Wassily Kandinsky) eingeführt und endet mit einer kurzen Biografie. Es ist ein eingängiger Text, der allerdings mit einigen schönen Formulierungen aufwartet: „Grenzwandlerin“, „Lineament“, „Air von Schwerelosigkeit“. Auch schön in seiner theoretischen Überbordenheit ist der Satz: „Sie [Grzymalas Papier-Werke] bezeichnen eine perzeptuelle Bewegung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, zwischen konkreter Materialität und dem physisch beanspruchten Prozess ihrer Herstellung und dem ästhetischen Charakter des Materials.“
Beispiel 2 – Die wissenschaftliche Abhandlung
Zur Ausstellung von Julius von Bismarck bei Alexander Levy sind gleich zwei Texte erschienen: ein Pressetext – geschrieben von einer Agentur – und ein vierseitiger Ausstellungstext. Dieser kommt wie ein wissenschaftlicher Text daher, mit einem allgemeinen Titel („Zum Tod einer Muttergöttin. Fragmente des Menschen in der Natur“), Hervorhebungen, Fußnoten und kunsthistorischen Exkursen, und ist am Ende doch nur eine Zusammenfügung von „Notizen“. Der Text gefällt mir trotzdem, wegen den potentiellen drei Interpretationsmöglichkeiten, die genannt werden, wird damit doch deutlich, dass auch ein Text nur eine weitere Interpretationsebene liefert, die sich zu den Eindrücken des Betrachters hinzugesellen und sie ergänzen – sie aber keineswegs zu sehr lenken oder dominieren sollten.
Beispiel 3 – Das Konzeptpapier
Die Ankündigung der Gruppenausstellung „Über die Dinge“ im Schloss Agathenburg wird ebenfalls mit einem Zitat (von Hartmut Böhme) eingeführt. Das unterstreicht schon mal den theoretischen Anspruch des Autors. Der Text ist weniger eine Beschreibung der Ausstellung, denn eine Vorstellung ihres kuratorischen Konzepts und ein Kurzessay über das Ding, bzw. das Dinghafte. Ohne die Künstler zu benennen, werden gekonnt die Arbeiten kurz über ihre behandelten Thematiken und Vorgehensweisen vorgestellt und machen Lust die Arbeiten in real zu sehen. Ein Text, der eine Fährte legt, ohne zu viel zu verraten – und damit quasi eine weitere Ebene der Ausstellung eröffnet.
Beispiel 4 – Das Diskurspuzzle
Anders verhält es sich beim Ankündigungstext von Tobias Kasper in der Halle für Kunst in Lüneburg. Erschließen sich die konzeptuellen Arbeiten von Kasper nur schwer durch reines Gucken, übernimmt der Text die Aufgabe, wertvolle Hintergrundinformationen zum Verständnis der Arbeit zu liefern sowie deren Kontexualisierung vorzunehmen. Dabei geht es beizeiten ganz schön abstrakt zu: „Die [in der Ausstellung zu sehenden] Zitate, die keinerlei Daten, Namen oder Orte benennen, werden durch ihre Dekontextualisierung zu kontingenten Satzfragmenten, wobei die erstaunlich zeitgenössische anmutende Alltagssprache mühelos die Abstände zwischen den Dekaden nivelliert.“ Das muss man wirklich zweimal lesen, bis man/frau es begriffen hat – nur die positive Wertung versteht man sofort. Weiter geht’s mit angesagten Formulierungen und Begrifflichkeiten wie „Display“, „Formen des Begehrens“, „Ökonomien der Sichtbarkeit“, „Repräsentations- und Vermarktungspraxen“ und das allseits beliebte „Spannungsverhältnis“. Welch verbaler Diskursmarathon - und Steilpass für die Ausstellung.