Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

BERLINJUTTA KOETHER: BERLINER SCHLÜSSEL

Sie begehrt die alten Meister

17. Februar 2011 von Richard Pauli
Abbildung zu
Frans Snyders »Stilleben mit Fruchtkorb«, 1636
2008 zeigte Malerin und Tausendsassa Jutta Koether in der Kölner Niederlassung der Galerie Daniel Buchholz Arbeiten unter dem Titel "New Yorker Fenster", was insofern treffend war, als die Künstlerin damals für längere Zeit in New York lebte. Zudem waren die Kölner Galerieräume überaus einsehbar. Das Schaufenster war calvinistisch dimensioniert, man hatte nichts zu verbergen. Ebenso freizügig war damals die spezielle und schicke Präsentation ihrer Malereien, auf denen sich Koether zum altmeisterlich, idealistischen Malersujets des Inkarnats austobte. Die Malereien und Objekte waren allansichtig angebracht auf von der Decke abgehängte Glastrennwände, die selbst einen Blick auf die Keilrahmenkreuze gewährten.
Nun ist Koether in Berlin angekommen, wo sie seit diesem Jahr auch lebt, und in der Hauptstadt ist man nicht mehr ganz so aufgeschlossen. Anstelle des üblichen Galerieschaufensters verweist jetzt ein dezentes Messingschild auf die Galerieräume der Berliner Dependance von Daniel Buchholz, die im 1. OG in einer großzügigen Altbauwohnung in einer Stichstraße des Kurfürstendamms liegt. Die unter dem ortsspezifischen Titel "Berliner Schlüssel" zusammengetragene Ausstellung zeigt zwölf groß- und kleinformatige Malereien, gehängt auf ein verspiegeltes Fenster im Innenraum, Rücken an Rücken als Barriere zwischen einer großbürgerliche Schiebetür oder an die eigens für die Ausstellung errichtete, im Ansatz labyrinthische Wandkonstruktion, die sich durch zwei Räume zieht und den ausstellungsablaufenden Betrachter mehrfach vor einer Wand zum stoppen bringt. Nicht nur eint der gleiche Titel die Malereien - alle Bilder tragen durchnummeriert den Ausstellungstitel - auch die gleichen Bildelemente und Motive tauchen in unterschiedlicher Kombination mehrmalig auf: Es gibt mehrere Selbstportraits, Obst und Gemüse, wie etwa ein Spargelbund, Wildbret, aber auch Bilderrahmen, grüne Ranken, brodelnde Töpfe, Mondgesichter mit leeren Augen, Blitze, eine kleine Chimäre, halb Frau, halb Tier, die auch die Ausstellungskarte schmückt, samt vier Flachwinkeln und natürlich dem Berliner Schlüssel. Die gewohnt ungelenken, doch erfrischenden Acrylmalereien sind von gegensätzlicher Farbgebung, entweder bestimmt durch einen lasierenden Farbauftrag mit durchschimmernder Grundierung und Vorzeichnung in bonbonhaft, frühlingsbejahend, pastelligen Tönen, oder geradezu sujetschluckend, düsterdeckend schwarz.
Aufgelockert, aber nicht bereichert, werden die Leinwandreihungen durch ein schwarzes Wandobjekt, eine Erweiterung der 2008 gezeigten, schamförmigen schwarzen Dreiecke, (Koether hat einen Hang zum Leibhaftigen), an deren einen Zacke noch eine Geißel bommelt. Ebenfalls übergehen möchte man die bereits im Rahmen des Steirischen Herbstes 2010 (Graz/A) gezeigte Öffentlicher-Raum-Arbeit "Dämonen für Damen, Herren und Kinder", die sie ganz rotzig auf dem Raucherbalkon der Galerie präsentiert. Auf einen Acrylglasaufsteller sind durch Flüssigglas vier kleinformatige Malereien eingegossen, die zuvor noch mit trashigen Nippes, etwa einem glitzernden Schriftzugaufnäher "New York" aus Palietten, dekoriert wurden. Auch hier die Blitze und die Totenkopfsmilies.
Weitere Hinweise, die durch die Pressemitteilung der Galerie gestreut wurden, sind die Appropriation eines Poussinselbstbildnisses, das der Barockmaler im gleichen Lebensabschnitt wie Koether mit ernster Miene und genialistischer Pose von sich fertigte, sowie ein Imbissbild Frans Snyders', das im Kölner Wallraf-Richartz-Museum hängt, und von dem Koether beispielsweise den erlegten Hasen, den neugierigen, noch lebendigen Kater oder das Spargelbund übernimmt. Auch die kultische Plastik ist wohl einem historischen Vorbild entlehnt, könnte es sich hierbei doch um eine ägyptische Kleinskulptur, eine Sauköpfige Isis handeln. Die drei größten Gemälde, die als Triptychon lesbar sind, finden ihren Ahnen in einem Fresco aus Boscoreole, einer Gemeinde nahe Pompeji, die ebenso Vesuvopfer geworden ist. Das Fresko wird heute im Metropolitan Museum of Art (NY) verwahrt.
Abbildung zu
Nicolas Poussin (1649/50) und Jutta Koether (2010)
Zurück zum Berliner Schlüssel, dessen Besonderheit in seiner Zweibärtigkeit liegt. Ein Bart ist jener spezifisch gekerbte und gezackte Teil des Schlüssels, der für das ins Schlossgreifen verantwortlich und dadurch öffnend und schließend ist. Das Modell des Doppelschlüssels wurde 1912 vom Weddinger Schlossermeister Johann Schweiger erfunden und bedingt beim Aufschließen einer Tür ein anschließendes Zuschließen nach Durchschieben des Schlüssels von der anderen Seite, daher auch als Schließzwangschlüssel bezeichnet. Doch wie erschließen sich einem all jene ausfindig gemachten Referenzen des „Berliner Schlüssels“, gibt es doch nirgends in der Ausstellung ein adäquates „Schloß“? Oft wird nach Antworten in der Kunst gesucht und, zwar bietet Koether zahlreiche Referenzen an, welche aber nichts Eigentliches eröffnen. Erkenntnis wohnt auch ein abschließendes Moment inne – verweigert Koether uns deshalb die Erschließbarkeit ihres Werkes? Nein. Allenfalls erfahren wir noch, daß sich der Titel auf ein Buch des französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour bezieht, dessen gleichnamiges Werk den Zusatz trägt: "Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften".
Abbildung zu
»Berliner Schlüssel #9-11«, 2010 und Fresko aus einer Villa in Boscoreale
Vielleicht gelangen wir durch eine selbstgebaute Brücke weiter. Mir kommt Herzog Blaubarts Schloß in den Sinn, Blaubart und seine, wie auch ihre Vorgängerinnen, von Neugier bestimmte Ehefrau Judith. Nach und nach fordert sie alle verbotenen Schlüssel ein und zwingt ihn zum Aufschließen seiner geheimsten Kammern. Das soll jetzt nicht näher besprochen werden, geht es mir bei diesem Moralmärchen vielmehr um das oft dem Weiblichen zugesprochene Laster der Neugierde. Doch ist Neugier auch ein Begehren nach Neuem. Und wenn man die Sensationslust außen vor läßt und der Entdeckerdrang vordergründig wird, dann ist Wissenschaft der nächst mögliche Schritt. Nun ist Kunst und Wissenschaft auch ein viel besprochenes Paar, dem ich hier nichts weiter hinzufügen möchte. Bei Koether sehe ich in ihrem malerischen und außermalerischen Schaffen die Umtriebigkeit einer unstillbar Wissen-Wollenden, eben einer Liebhaberin des Wissens, um damit bei Latour anzuknüpfen. Analog dazu verhält sich vielleicht auch die Ausstellungssituation, die neue Wege und Perspektiven, aber auch sinnliche Hürden im Raum erzeugt. Die Gemälde lassen vieles anklingen, allein das blitzhafte Zusammentreffen von barockem Spargel und antikem Schlangenkorb aber schafft noch keine dialektische Konstellation, die den Betrachter über die bildliche Spannung stimulieren könnte. Schließlich bliebe zu wünschen, daß die Begehrlichkeiten zu den alten Meistern neue Türen öffnen.

Kommentare

#1) Am 18. Februar 20:14 um Uhr von i❤ cologne

ich würde buchholz köln als stammhaus denn als niederlassung bezeichnen, die galerie wurde schließlich hier gegründet und hat erst2008 eine depandance in cool capital city eröffnet.

#2) Am 22. Februar 20:15 um Uhr von Suse Sülze

Also ich kann mir nicht helfen, aber vielleicht kann es ja jemand von Euch. Wie habe ich damit umzugehen, dass Jutta Koether offensichtlich nicht wirklich malen kann? Ist das ihre Referenz an Punk und D.I.Y.? Dann wäre dieses grässliche Selbstportrait in Anlehnung an Poussin sowas wie ein Punksong in Anlehnung an Beethoven? TA-TA-TA-TAAH! Nein, sorry, ich versteh das nicht! Woher dieser Hype um diese symbolschwangeren Hobbymalereien?

#3) Am 11. September 16:39 um Uhr von artbrain2013

ey, noch nie was von artistic reseach gehört?