Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

BERLINVICTOR BURGIN: A PLACE TO READ

Durch die Hintertür

15. Mai 2011 von Bobby Briggs
Abbildung zu
Der Flur von Campagne Première
Am 30. April und 1. Mai 2011 war die ganze Berliner Kunstlandschaft erfasst vom Gallery Weekend Fieber. Doch einen Moment… die ganze Kunstlandschaft? Liest man sich durch das prall gefüllte Programmheft hindurch und bemüht gleichzeitig andere Ausstellungsindices, so ergibt sich eine überraschende Diskrepanz: Mit Victor Burgin taucht einer der (in bestimmten Kreisen) meistgeschätzten Künstler des Wochenendes in keinem Gallery Weekend Planer auf. Seine Gallerie, die noch recht junge Campagne Première im Hinterhaus der Chausseestraße 116, hat sich die paar tausend Kröten Teilnehmergebühr gespart und steckt sie lieber in ihre hochwertige Programmgestaltung. Sympathisch.
Sparsamkeit in ihrer besten Form (namentlich: Eleganz) bestimmt auch die zwei Räume der Ausstellung „A Place to read“, die lediglich aus einer stillen Beamerprojektion und ebenso stillen Wandtexten besteht. Erstere zeigt drei Einstellungen eines Kaffeehauses am Bosporus im Loop: langsame Kamerafahrten, einfache und gut komponierte Bilder, flutendes Sonnenlicht und gestochene Schärfe laden dazu ein, die Oberfläche des Bildes kurzweilig zu vergessen und sich mitsamt einer labenden Lektüre an diesen so schönen wie schön beschriebenen Ort zu wünschen – der Kamera durch den friedlichen Obstbaumhain zu folgen, den Sonnenstrahlen auf ihrem zeitgerafften Weg durch den minimalistischen Innenraum nachzusehen. Doch spätestens mit der dritten Einstellung, einer in Schwarzweiß gehaltenen helikopterartigen Umkreisung des Hauses an einem Steilhang der Mittelmeerküste, wird der Betrachter aus seinem indexikalischen Tagtraum gerissen. Was zuvor noch als gut gemachte HD-Kamera- und Postproduktionsarbeit hätte durchgehen können, wird nun zunehmend unwahrscheinlich und offenbart seine wahre Gestalt als künstliches 3D-Rendering.
Irritiert durch diese durchaus überraschende Erkenntnis wird der ein oder andere (den Verfasser eingeschlossen) dem Impuls folgen, den zweiten Raum auf der Suche nach Klarheit aufzusuchen. Die Ernüchterung, diesen Raum zunächst scheinbar leer aufzufinden, schlägt alsbald in eine intensive Begeisterung um, widmet man sich den kleinen Wandtexten, in kurze Abschnitte und drei Kapitel unterteilt. Um dem literarischen Feinsinn Burgins kein Unrecht zu tun und dem Leser dieser Zeilen nicht den Besuch dieser sehenswerten Ausstellung zu versalzen, sei an dieser Stelle von einer unbeholfenen Nacherzählung abgesehen und in aller Kürze gesagt: Um Fotografie auszustellen, zu thematisieren und zu denken muss manchmal keine einzige Fotografie anwesend sein – was nicht heißt, dass sie dazu nicht notwendig gewesen wäre. Dasselbe gilt wohl für einen Ort, und (in Anlehnung an Burgins erste Worte in seinem allgemein unterschätzen Buch „Some Cities“) eine geliebte Person: „Our relationship to places is like our relationship to people.“