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BREMENMARK HARRINGTON: BETWEEN SPACES

Diskreter Expressionismus und emotionale Geometrie

11. Juni 2011 von Adriane Kerkhoff
Der eine nennt es „die Emotionalisierung der Geometrie“, der andere „diskreter Expressionismus“. Beide Titel beschreiben ungegenständliche Liniengemälde, erster stammt von Nicholas Bodde, zweiter von Mark Harrington. Beide Maler zeigen konkrete Kunst und verfolgen keinerlei abbildende Absicht, sondern wählen die Line als Bildsprache, die für sich steht; ihre Bildwelten bestehen aus Farben, Formen und deren ausgeklügelte Zusammenstellung. Beide Maler sind in den USA geboren, leben und arbeiten in Deutschland und zeigen aktuell in Bremen polychrome Streifen-Sujets – ein Grund, die Ausstellungen gegenüberzustellen. Beginnen wir mit dem bekannteren Künstler und der größeren Schau: Mark Harrington im Museum für Moderne Kunst.
Die Szenenbeschreibung mutet vielleicht etwas klischeehaft an, war jedoch in einer bestimmten Weise stimmig und somit besser, als es sich liest: Mark Harrington, US-amerikanischer Vertreter ungegenständlicher Malerei, trägt selbstverfasste Texte inmitten seiner raumeinnehmenden Liniengemälde vor. Dazu zupft Jazzpianist Micheal Wollny – atemlos und mit zerzauster Mähne – die Seiten des aufgeklappten schwarz-glänzenden Flügels mit seinen Fingern. Ein heller Klangteppich aus immer schneller werdenden Tonfolgen unterlegt die Bass-Stimme des Malers. Die Musik-Text-Kombination stellt den Hintergrund Harringtons Bilder dar, denn diese beziehen sich in den Titeln immer wieder auf Jazz-Songs und auch die Malweise ist von unstringenten Musikstücken inspiriert. „Adding and taking away. Reduction is not erasion“, sagt Harrington ins Mikrofon und spielt damit auf seine Arbeitsmethode an. Er trägt pastose Acrylfarbe auf Holzplatten auf, nimmt sie mit selbstgebauten Spachteln oder Sägeblättern teilweise wieder ab und füllt die so entstandenen Furchen in einem anderen Ton wieder auf.
So kommen ineinander fließende, waagrechte, kontrastierende Linien in Schwarz-Gelb, Violett-Weiß oder Rot und Blau zustande. In den Malgrund eingelassen ziehen sich die kräftigen Töne wie Adern durch schleierartige Farbverläufe und es wird unklar, was Hintergrund ist, und was Vordergrund. Beide Flächen könnten für sich existierende Sujets sein, denn die Farbe ist zwar glatt abgeschliffen, aber dabei nicht monochrom, sondern durch die Arbeitsweise Harringtons, bei der er mit viel Körpereinsatz streicht, schabt und feilt, voller kleiner Flecke, Sprenkel und Verwischungen. So entsteht ein fast fotografisch wirkender Effekt und man meint, trotz aller Ungegenständlichkeit, im rostfarbenen Streifengemälde rötliche Krater einer Planetenoberfläche, in einer Schwarz-Weiß-Arbeit Ausschnitte alter Fotografien oder im blauen Farbenspiel die bewegte Oberfläche eines Sees erkennen zu können. Durch die Größe der Bilder, die teilweise ganze Wände einnehmen, beeinflussen die Sujets stark die Stimmung der Räume.
Die Arbeiten sind Diptychen, bestehen also aus zwei Teilen, die Harrington einzeln anfertigt und später zusammensetzt. Alle Linien werden so gebrochen und sind damit nicht mehr „linear“, sondern interessanter, nicht perfekt. Anders, als in früheren Arbeiten sind diese auch nicht mehr parallel gezogen, sondern sinnlich mit Brüchen und Verläufen. So schafft es Harrington, trotz der seriellen Linien-Sujets eine ungewöhnliche Lebendigkeit in seine Arbeiten zu setzen und jedes Motiv, auch wenn es den anderen auf den ersten Blick ähneln mag, einzigartig und frappant zu gestalten. Durch die gemeinsame Performance mit hervorragenden Musikern ist Harrington inmitten seiner abstrakten Arbeiten ein weiteres intensives Moment gelungen.
Zeitgleich stellt auch Nicholas Bodde Linienbilder aus. Nicht minder konkret, könnten seine jedoch kaum unterschiedlicher sein. Wo Harrington subtil Lebendigkeit in die abstrakten Arbeiten einbringt, setzt Bodde auf kühl-kalkulierte Genauigkeit. Bodde prüft die akurate Ausrichtung seiner Streifen mit einer Laser-Wasserwaage und sagt, „nichts ist schlimmer, als eine Schau mit dem Titel Parallelen, in der schiefe Linien zu sehen sind“. Diese "Parallelen" hängen in einer historischen Villa, in der von 1888 bis 1898 Paula Becker lebte, und kontrastieren in ihrer strengen Ausrichtung mit den sinnlich-geschwungen Möbeln, Stuckornamenten und Jugendstil-Intarsien des Hauses.
Die intensiv-farbigen Linien ziehen sich wie unterbrochene Bänder über die Malgründe aus Rechtecken, Ovalen und Kreisen. Niemals wiederholt sich ein Streifen, denn jede Farbfläche wurde auf eine andere Weise behandelt, ist stumpf, matt, rau oder glänzend. Auch wenn etwa zwei orange-farbene Linien desselben Tons auf den ersten Blick wie eine einzige Fläche aussehen, sieht man bei näherer Betrachtung, dass der eine Teil aus reflektierendem Lack besteht, der andere aus Licht-absorbierender, rauer Farbe. Der Künstler nutzt also die verschiedensten Materialien und trägt in monatelanger Millimeterarbeit Streifen um Streifen Acryl- und Ölfarbe, verschiedene Lacke und Mischungen auf den Aluminium-Grund auf. So erlangen die Arbeiten eine Art flimmernde Bewegung und wirken bei längerer Betrachtung fast dreidimensional, doch die streng-geometrischen Sujets bleiben zu glatt. Bodde nennt seine Arbeitsweise „die Emotionalisierung der Geometrie“, doch besondere Emotionen werden durch die perfekt gezogenen Streifen eher nicht ausgelöst. Die Technik mag ausgefeilt und die Ausführung exakt sein, die Bilder wirken jedoch in ihrer Werbeästhetik oberflächlich und eben auf diese pedantische Arbeitsweise beschränkt. Es fehlt das Frappante, das, was die Harmonie stört, das Auge hängenbleiben lässt und aus Streifen mehr als Streifen macht.
Die Gegenüberstellung zweier Herangehensweisen an abstrakte Linien-Sujets zeigt, wie lebendig man diese umsetzen kann und wie schnell solche Arbeiten doch etwas an – wenn auch an sehr gute – Dekoration erinnern können. Allerdings sind beide Arbeitsweisen völlig unterschiedlich und natürlich nur bedingt vergleichbar. Harrington ist in der sinnlichen Jazz-Szene San Franciscos verwurzelt, Bodde gibt als Vergleich Josef Albers Farbfeldmalerei und Quadratbilder an. Es geht wohl weniger um den Ausdruck von Emotionen, wie in Harringtons Arbeiten, sondern um die Wirkung von Farben, Formen und die Subjektivität optischer Wahrnehmung. Bodde liegt an Abstufungen und am intellektuell-subtilen Farbspiel, Harrington am Spiel mit Kontinuität und Bruch. Boddes Linien sind eben so "emotional" wie man sich Geometrie vorstellt: streng durchkomponierte, primär parallele Geraden. Harringtons dagegen sind inspirierend durch seine intuitive, fast musikalische Linienführung und kommen dabei dem Titel seiner Schau, "Between Spaces" sehr nahe: zwischen konkreter Kunst und Expressionismus - diskreter Expressionismus.

Kommentare

#1) Am 20. Juni 17:14 um Uhr von Snickers

Als Formalismus noch einen Stand hatte, also irgendwo zwischen den 50er und 70er Jahren, war sein Anliegen noch benennbar. Wenn formalistisch arbeitende Künstler heute offenbar selbst nicht mehr so recht wissen, was sie da tun, und von der Kritik auch nur noch mit dem nichtigen Gegensatzpaar "interessant/uninteressant" unterscheidbar sind, dann ist diese Form der Kunst wie auch ihre Kritik tot. Warum wird sowas besprochen?