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BERLINGETA BRĂTESCU: ALTERITATE

Dem Leben abgewrungen

16. August 2011 von Niele Büchner
Ist es eigentlich zwangsläufig so, dass KünstlerInnen mit steigendem Bekanntheitsgrad und finanziellen Möglichkeiten umso großformatigere, monumentalere und luxuriösere Werke schaffen? Der überteuerte Diamantenschädel von Damen Hirst, die überdimensionalen Skulpturen von Richard Serra oder die wandfüllenden Fotografien von Andreas Gursky legen das nahe. In der Ausstellung der 1926 geborenen rumänischen Künstlerin Geta Brătescu mit dem Titel "Alteritate" dagegen ist man mit Werkgruppen und Filmen konfrontiert, die eher bescheiden und flüchtig anmuten – und damit wohl nicht nur Ausdruck der Arbeitsweise der Künstlerin sind, sondern auch ein Zeichen der schwierigen Umstände Rumäniens unter der Diktatur, mit denen sie sich zu arrangieren hatte. Diese beeinträchtigten nicht nur die zur Verfügung stehenden Mittel (Filmmaterial war absolut rar), sondern auch die Austausch- und Ausstellmöglichkeiten der Künstlerin mit Gleichgesinnten.
Aufgrund dieser Umstände erscheint es naheliegend, dass auf den Arbeiten häufig die Künstlerin selber zu sehen ist. In Performances oder Videoarbeiten erprobt sie Handlungsmöglichkeiten und zeigt Transformationspotentiale auf: zum Beispiel vom erstarrten Gesicht zum Lächeln und zurück. Dass sich das Persönliche dabei immer mit dem Gesellschaftlichen überlagert, wird im Film "The Studio" (1978) deutlich, den Brătescus Künstlerkolleg Ion Grigorescu gedreht hat und in dem man die Künstlerin in ihrem Atelier sehen kann, wie sie dieses mit Markierungen versieht, die einen imaginären Raum konstruieren. Atelier bzw. privater Raum werden hier zum politischen Refugium, indem sie zum Sinnbild der Begrenzungen werden, denen die KünstlerInnen ausgesetzt waren. In einer anderen Werkgruppe, die eine Fotografie, eine Installation sowie einen Setzkasten mit mehreren Magneten enthält, benutzt Brătescu Magnete als Metapher für gesellschaftliche Prozesse. In einem Manifest, dass die Künstlerin 1974 geschrieben hat, schildert sie drei verschiedene Sorten von Magneten und deren Wirkungen auf die Umgebung und die Menschen, die zwischen Anziehungskraft und Abstoßung changieren und beständig neue Resonanzfelder schaffen. Mal ist man Spielball – den großen magnetischen Kräften ausgesetzt – man ist man selber der Magnetisierer und Attraktor, der die Dinge zu verrücken vermag.
Dieses wechselhafte Spiel von Kooperation und Drangsalierung (mit und durch den Staat) kann man aktuell bei einem anderen Künstler beobachten: Baute Ai Weiwei zu den Olympischen Spielen in Peking noch am Stadion mit, wurde im Januar das neu errichtete 2000 m² große Atelier von Ai Weiwei abgerissen, kurz darauf wurde er selber inhaftiert. Das 2000 m²-Studio hätte aber wohl so wenig wie das geplante 4800 m² umfassende Berliner Atelier noch einen privaten Rückzugsort künstlerischer Freiheit markieren können. Denn ganz anders als bei der zurückgezogenen Brătescu zielt Weiweis Werk gerade auf die offene Konfrontation. Und obwohl er (der sich wie Brătescu häufig selbst zum Teil der Arbeit macht) heute in den westlichen Medien in erster Linie als der freiheitsliebende Rebellenkünstler in den Fängen eines Unrechtregimes erscheint, lässt sich bei ihm sehr wohl auch das eingangs erwähnte Phänomen materieller Hypertrophie beobachten: Immer raumgreifender und spektakulärer werden seine Arbeiten, immer teurer in Produktion und Verkauf.
Brătescu erscheint demgegenüber als eine im Underground agierende Künstlerin, bei der das Private noch eine andere Konnotation hatte, als bei dem allzeit vernetzten Weiwei, der die Öffentlichkeit geschickt für sich nutzt. Auch die Wahl des Materials folgt bei Brătescu einer anderen Logik. Trotz der beschränkten Mittel ist ihre Vielfalt beeindruckend: Neben Film und Fotografien sind in der Ausstellung Collagen, Stickereien und eine Zeichnung zu sehen. Häufig wirken die Materialien alltäglich, wie die ‚Näharbeiten auf Stoff‘ oder die verschiedenen Text- und Papiersorten, die sie in der Collage "The Gate" von 1991, zu einem großen Tor zusammengefügt hat. Durch diese ‚armen‘ Materialien, den Alltagsbezug und das Improvisierte, das den Arbeiten anhaftet, wirken diese nicht enthoben oder selbstbezüglich, sondern dem Leben abgewrungen. In dem Video ‚Earthcake‘ (1992) ist die Künstlerin beim Herstellen eines Kuchens zu sehen, den sie sorgfältig knetet, formt, mit Wasser geschmeidig macht, um ihn dann aufzuessen. Man meint beim Zugucken die Zähne knirschen zu hören und fragt sich, wie verdaulich ein solcher Kuchen wohl ist.
Dass Brătescu auch in ihre neueren Arbeiten nicht dazu anläuft, das Format zu sprengen – und mit ihm die Preise – wirkt äußerst beruhigend. Vielleicht macht der Größendrang von Weiwei ja nur deutlich, dass er neben dem chinesischen eben längst auch einem anderen Unrechtsregime unterworfen ist: dem des Kapitals.

Kommentare

#1) Am 27. August 17:09 um Uhr von Bobby

Sosehr ich Sympathie und Wertschätzung für das Arbeiten Bratescus mit einfachen Materialien teile und die Darstellung der Arbeiten gelungen finde, so muss ich doch Unbehagen äußern zu der Nennung von Hirst/Serra/Gursky in einer Reihe: Denn Größe und ggf. Kostenintensität allein reichen noch nicht aus zur Kritik eines Werkes als oberflächlich/"hyperthroph" und dergleichen - ein solcher Pauschalvorwurf ist genau wie das Missgönnen von materiellem Erfolg nur eines, nämlich kleinbürgerlich.

#2) Am 16. September 17:09 um Uhr von Niele Büchner

Vielleicht ist die Aufzählung zu unpräzise - und der Punkt, um den es mir geht nicht klar genug formuliert. Es ist mir egal, wieviel die KünstlerInnen verdienen. Was mich interessiert ist die Frage, was finanzielle Absicherung und ausreichend Ausstellungsmöglichkeiten mit einem Künstler und dessen Werk machen. Gelingt es ihm weiterhin neue Formate und Ausdrucksweisen zu entwickeln oder versteift er sich darauf mit 'wertvollen' Materialien und monumentalen Formaten zu beeindrucken - wie es mein Eindruck bei Hirst/Serra/Gursky ist.

#3) Am 16. September 17:09 um Uhr von oo

Man macht sich, glaube ich, keinen Eindruck davon, welchen Druck es bedeutet, wenn ein Künstler mal zeitweise Erfolg hatte und im Gespräch ist, wie von ihm/ihr so lange ersehnt. Kann man an den Erfolg weiter anknüpfen? Wird man vergessen? Kommen Andere nach und machen alles anders, ist man bald der Schnee von gestern? Hinter der ganzen "effortless"-Attitüde zeitgenössischer Kunst steht tw. so viel Angst vor Scheitern, sich im Haifischbecken nicht mehr behaupten zu können, nicht mehr gefragt zu sein. Und die monumentalen Formate oder anti-poveren Materialien bieten manch einem da einem bequemen Ausweg: Das kann man ja nur, wenn man ein "ganz Großer" ist. Das muss man sich ja erst mal erarbeiten. Das ist dann eine Art Selbstversicherung der eigenen Größe und Bedeutung. Manchmal ist es auch nur echter Größenwahn. Und manchmal sind Riesenformate sogar angemessen, etwa in der Land-Art. Da muss man wohl differenzieren.

#4) Am 24. September 17:10 um Uhr von Niele Büchner

Ja, das stimmt und ich muss gestehen, dass ich kaum eine/einen KünstlerIn persönlich kenne, die/der in der dieser Situation ist. Was ich aber beobachten kann, sind die Wirkungen von Macht und Öffentlichkeit. Das kann ich in meinem Lohnarbeitsverhältnis live bei meinem Chef beobachten. Es ist nicht einfach der narzistischen Liebhudelei einerseits und der Kritik, der man plötzlich auch als Projektionsfläche ausgesetzt ist, zu widerstehen. Ich habe da letztens mit Roger Buergel drüber gesprochen, der durch die documenta von beidem im Überfluss betroffen war. Es hilft: Klein-Werden.