Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

Lesezirkel

Die Presseschau für Kunst und danach


#52) Presseschau vom 25. Oktober 2013

Eine kleine, interne Debatte führen Hanno Rauterberg und Tina Klopp für die Zeit. Ersterer startete mit einem „Weckruf“, in dem er der Gegenwartskunst u.a. vorwarf, einen „Nichteinmischungspakt mit der Wirklichkeit“ geschlossen zu haben. Garniert mit einem hübschen Seitenhieb auf Gerhard Richter. Der sei nicht zuletzt deshalb einer der letzten Helden der Gegenwart, weil seine Bilder "garantiert überraschungs- und konfliktfrei“ seien. Auf Zeit Online hält Tina Klopp dagegen, das neue Massenpublikum, welches Rauterberg fürchte, habe kaum Einfluss auf das Marktgeschehen. Die Harmlosigkeit, die er den Künstlern vorwerfe, sei ebenso bei Kritikern zu finden und politische Kunst nicht marginalisiert, sondern im Gegenteil: „äußerst markttauglich“. Auch die Taz mag es politisch und bespricht Santiago Sierras Retrospektive in der Sammlung Falckenberg. Darin erklärt uns der Künstler: „Was in der Welt der Kunst erlaubt ist, deckt sich natürlich mit dem, was im Kapitalismus erlaubt ist. Wir teilen dieselbe Wirklichkeit“. Für Spike schreibt Timo Feldhaus über Berliner Wirklichkeiten - melancholisch und verstörend, eher ein Stimmungsbild, das leichte Übelkeit verheißt. Fast kurierend wirkt dagegen die Lektüre einer Abrechnung mit Friedrich von Borries, die Magnus Klaue für Konkret verfasst hat. Weil es so schön ist, hier der Anfang: „In den heroischen Zeiten des Bürgertums brauchte es Zeit, Geduld und Selbstüberwindung, um zum Charakterschwein zu reifen. Zuerst galt es, die hochfliegenden Träume auf Normalmaß zu stutzen und zu lernen, sich als Kompensation für den notwendigen Lustverzicht daran schadlos zu halten, dass es den anderen nicht besser geht. Der exemplarische Kotzbrocken von heute ist dagegen schon vor Eintritt der Volljährigkeit fertig. Die 14jährigen mit Gelstrubbeln und I-Phone sind noch weniger ansprechbar als ihre tumben Eltern, und die Freiberufler übertreffen an Kindischkeit ihre Kinder, denen alles Kindliche abgeht. Wer sie sind, wie sie heißen und wo sie herkommen tangiert den Grad ihrer Blödheit nur peripher: Die negative Gleichheit steht ihnen ins nicht vorhandene Gesicht geschrieben. Einer von ihnen ist Friedrich von Borries. Postmaskulistisches Fetthaar, kulturaffiner Drei-Tage-Bart und Jetzt-sehe-ich-endlich-auch-so-aus-Brille markieren ihn deutlich als einen, der was mit Kunst zu tun und daher weder Achtung noch Zuneigung verdient hat.“ Die aktuelle Ausgabe der Springerin steht unter dem Motto Kunst der Verschuldung. In einem der Beiträge stellen sich Pascal Jurt und Beat Weber die Frage, auf welche Art sich die Finanzkrise auf die verschiedenen Teilbereiche des Kunstsystems und die aktuelle Kunstpraxis auswirkt. Kritisch sehen sie vor allem die mangelnde Thematisierung der Verstrickungen der Kunst selbst: „Kunst spielt im finanzialisierten Kapitalismus eine nicht unwesentliche Rolle, um den Eliten die Verwandlung von finanziellem in kulturelles Kapital zu erlauben und somit ihre Tätigkeit mit Reputation auszustatten. Kunstmarktorientierte Segmente des Kunstfeldes haben davon stark profitiert – vor der Krise vom Boom der Finanzmärkte und nach der Krise von deren Stabilisierung auf Kosten der Allgemeinheit.“ Und: „Dass in der Bearbeitung der Krise als künstlerisches Material kaum auf die Rolle der Kunst in den thematisierten Zusammenhängen eingegangen wird, ist eine Strategie der Konfliktvermeidung.“ Womit wir zurück bei Rauterbergs „Nichteinmischungspakt“ und damit wieder am Anfang stehen.

#51) Presseschau vom 15. September 2013

Der Neunziger-Historisierungs-Boom ist gerade vielen Anlass über die Entwicklung von Berlin nachzudenken. Für Art macht das Kito Nedo mit einem recht lesenswerten Artikel, der erklärt, dass es in Berlin bis heute nicht Museen oder Kunsthochschulen sind, die für produktive Energie sorgen, sondern „informelle Netzwerke, international aktive Projekträume, Galerien und Künstlerinitiativen, die jede Saison neue Leute anziehen.“ Doch auch Nedo muss feststellen: „Wer heute durch die Straßen von Mitte geht, der wandert durch ein komplett trockengelegtes Biotop.“ Bei Konkret ist es dann gleich ein Abgesang auf Berlin geworden: „Wild, jung, produktiv steht Berlin für die unmögliche Versöhnung von Hedonismus und Leistungswillen, Dissidenz und Establishment. Dieses Berlin ist eine Utopie im Sinne von Traumtänzerei, ein Ort, an dem wilde Leute kreative effiziente Sachen machen und der Neoliberalismus deutscher Prägung niemals mit seinen Widersprüchen konfrontiert werden wird.“ Zumindest so lange nicht, wie man einen Friedrich von Borries in der Stadt hat, den Gesine Borcherdt in einem gelungenen Veriss für Art folgendermaßen zitiert: „Revolution? Das kann im Grunde auch das neue Betriebssystem eines Handys sein.“ In der neuen Frieze d/e ist Jan Kedves genervt vom angekündigten „Kunst-Rave“ von Lady Gaga, für den sie bereits Jeff Koons und Marina Abramović gewinnen konnte. Wobei ihn weniger die Publicity-Aktion als solche stört, die könnte man ja einfach ignorieren. „Was jedoch auf den Geist geht ist die Redundanz, mit der behauptet wird, bei diesen Aktionen passiere irgendwie noch mehr.“ Ansonsten feiert Frieze d/e vorsorglich zur baldigen Retrospektive im MoMA schon mal Frau Genzken. Bei Monopol findet man die Kanzlerin offenbar spannender. Rechtzeitig zur Bundestagswahl bekennt das Magazin Farbe und titelt mit einem exklusiven Portfolio vom Hoffotografen des Neuen Bürgertums: Andreas Mühe. Texte zur Kunst wechselt zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren sein Redaktionsteam; das neue Heft hat das Thema Globalisierung. Schon ein paar Tage älter aber immer noch gut zu lesen ist eine Besprechung von Kolja Reichert, in der er anhand einer Großinstallation in der Park Avenue Armory den Unterschied zwischen Mike Kelley und Paul McCarthy erklärt. Das Werk des Letzteren sei weniger auf Beschränkung ausgelegt, wohingegen der Selbstmord Kelleys im vergangenen Jahr als Konsequenz aus der Tragik gedeutet worden wäre, „Teil eines Systems geworden zu sein, das mit seinem Produktionsdruck den ursprünglichen kritischen Antrieb erstickt.“ Würde sich an dieser Argumentation eigentlich etwas ändern, wenn Reichert wüsste, dass der wahrscheinlichere Anlass für Kelleys Selbstmord schlicht und einfach Liebeskummer war?

#50) Presseschau vom 20. August 2013

Der Freitag beschäftigt sich anlässlich des jüngsten Petitionserfolgs in Sachen Künstlersozialkasse mit deren Fortbestehen und plädiert sogar dafür, ihr Versicherungsprinzip auf andere Branchen auszuweiten, „sodass für jede eingesparte, hinterrücks leih-frei wieder günstig eingekaufte Arbeitskraft eine Abgabe für die Unternehmen entfällt. Damit wir unsere schöne bundesdeutsche Kultur erhalten können, die weltberühmte Superkultur, die unsere Ahnen einst so schön soziale Marktwirtschaft nannten.“ Apropos Marktwirtschaft: Friedrich von Borries möchte wissen, ob man den Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen schlagen kann. Dabei ist sein jetzt erscheinender Roman RLF – das richtige Leben im Falschen nur Baustein einer größeren Konzeption, die u.a. ein Unternehmen, eine Produktlinie, eine fiktive Künstlerpersönlichkeit und eigene Internet-Kommunikationskanäle umfasst. Über mangelndes Medieninteresse kann sich der Autor und Designprofessor der HfbK Hamburg nicht beklagen: Freitag und Spiegel rezensieren, aber dann schlägt Peter Praschls in der Welt von Borries mit seinen eigenen, ergebnisoffenen Waffen: „Äh ja.“ Von Beruf „Nervensäge“, heißt es in der FAS nur noch lakonisch über Jonathan Meese. Seinen Freispruch durch das Amtsgericht Kassel nimmt die Zeit zum Anlass über die NS-Vergangenheitsbewältigung im deutschen Kulturbetrieb nachzudenken. Alle Nazi-Skandale der letzten Zeit hätten der Debatte nichts Erhellendes hinzufügen können, sie trete lärmend auf der Stelle – auch dank der Sensationslust der Medien. Notwendig aber sei „eine besorgte Besonnenheit, eine besonnene Sorge angesichts einer Vergangenheit, die sich nicht bewältigen lässt.“ In Nordkorea legt die politische Führung bekanntermaßen weniger Wert auf gesellschaftliche Debatten. Brand eins, das Magazin für den alternativen Kapitalisten, hat einen Artikel über das Mansudae Art Studio online gestellt, das von Nordkorea aus zum Weltmarktführer für Monumentalskulpturen aufgestiegen ist. Zu den ausländischen Kunden gehören passenderweise vor allem Diktatoren und Freunde des Sozialistischen Realismus. Noch nicht online ist dagegen Niklas Maaks heutiger FAZ-Bericht zum aktuellen New Yorker Prozess um Kunstfälschungen: „Die anerkannten Werte der Kunstgeschichte sollen die erfundenen Vermögen der Finanzspekulanten realer erscheinen lassen. In diesen überhitzten Tagen schaukeln sich die beiden Großfiktionssysteme der Gegenwart, die Kunst- und die Finanzwelt, gegenseitig hoch: Auch deswegen jagen die Preise für Rothko, Pollock und Kline in atemberaubende Höhen.“ In der SZ zeigt sich Catrin Lorch enttäuscht von Tobias Zielonys aktuellen Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Dessen neue Serie „Jenny-Jenny“ sei indifferent und schwül: „Wüstenlicht und verwehter US-Asphalt so nichtsagend wie die blauen Nächte am Straßenstrich. Sie lösen weder als Kunst noch als Dokumentation ein, was sie ankündigen.“

#49) Presseschau vom 1. August 2013

„Kunst hassen“ heißt ein Buch von Nicole Zepter, das Ende August im Tropen-Verlag erscheint. Silke Hohmann von Monopol hat offenbar schon die Ankündigung dermaßen verschreckt, dass sie sich nach misslungenem Selbstversuch zu einem ein Plädoyer „Wider den Hass auf Kunst!“ gezwungen sah. „Vergessen wir nicht“, ermahnt sie die Leser, „dass wir in einer Gegenwart leben, in der ein honoriger Künstler und Professor wie Hermann Nitsch angefeindet wird, weil er das Schlachten eines Tieres veranlasst.“ Ja, ja. Der arme, honorige Hermann Nitsch… Beim Freitag ärgert sich Lennart Laberenz über die mediale Aufmerksamkeit für den Prozess um Jonathan Meese: „Wenn Meese hitlergrüßend durch die Gegend läuft und der fleischgewordene Integrationsbambi Bushido aus dem Wohlstandsgetto Grunewald ein durchaus langweiliges Musikvideo produziert, kann man sie leider nicht wegen intellektuell mangelhafter Leistung vor den Kadi stellen.“ Ausgehend von Peer Steinbrücks eher unglücklichen Verhältnis zu öffentlichkeitswirksamen Kulturschaffenden macht sich Ursula März Im Handelsblatt Gedanken zur abnehmenden Bereitschaft eben jener, sich überhaupt noch in parteipolitische Belange einzumischen: „Es gibt gute Gründe für die Kunst, die Nähe zur Politik […] zu meiden. Zweck- und Kompromissdenken, rhetorische Taktik, Ideenbildung unter Rücksichtnahme auf Mehrheitsfähigkeit – all das verträgt sich nicht mit der rücksichtslosen Autonomie, aus der künstlerische Werke erst entstehen. Zumal die Literatur benötigt Distinktion von der gesellschaftlichen Mitte, zu der es die Politik wiederum hinzieht. Genau diese Distinktion scheint allerdings gerade verloren zu gehen. Denn wie es aussieht, pflegt die Literatur im Jahr 2013 ein Nichtverhältnis zur politischen Sphäre, das sich vom zwiespältigen Verhältnis der Mitte zu ihren Politikern keineswegs unterscheidet.“ Und wegen der Sommerflaute sei noch ein älterer Artikel aus der Brand eins empfohlen, der die Loyalität im beruflichen Verhältnis zwischen Gerd Harry Lybke und Badboy-Maler Martin Eder sucht. Selten deutlich wird hier über die finanzielle Seite des Galeristen- und Künstlerdaseins gesprochen.

#48) Presseschau vom 16. Juli 2013

In der FAZ widmet sich Niklas Maak der Arbeit von Anish Kapoor, dessen riesige Installationen gerade im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt werden. Vor allem scheint ihm Kapoors Zusammenarbeit mit Großkonzernen mehr als zweifelhaft: „Das Kunstobjekt im öffentlichen Raum ist hier [...] nicht etwa Ergebnis eines staatlichen Auftrags, sondern ein monumentales Signet, das vor allem die Macht privater Akteure im öffentlichen Raum demonstriert. Wo der Staat es aufgegeben hat, den öffentlichen Raum zu gestalten, und diese Aufgabe an private Unternehmen delegiert, schlägt die Stunde von Künstlern wie Kapoor.“ Es scheint derzeit unter erfolgreichen Rappern irgenwie wichtig zu sein, sein Interesse für bildende Kunst zu bekunden (man erinnere sich an Kanye Wests NY-Times-Interview: „Like I say, I’m a minimalist in a rapper’s body.“). Nun zog Jay-Z nach und performte seinen Song Picasso Baby sechs Stunden (!) in der New Yorker Pace Gallery, stehend auf einem weißen Podest, gefeiert von prominenten Mitgliedern der Kunstszene. In der Welt bemerkt Kolja Reichert lakonisch: „Picasso Baby illustriert ein Kunstverständnis, in dem sich Kunstwerke als Statussymbole auf derselben Ebene bewegen wie Wohnungen, Uhren oder schlicht und einfach Geld.“ Der Event-Bericht von Jerry Saltz, auf den sich Reichert bezieht, erschien übrigens in dessen Monopol-Blog. Im Freitag schreibt Christine Käppeler über die Ausstellung „Reichtum – Mehr als genug“ im Deutschen Hygiene-Museum. Das kuratorische Konzept beruhe auf Übertreibung, Klischees und Satire: Reichtum, so der Kurator, sei ein Phantasma, dem man nur auf die Spur kommen könne, indem man Bilder verwende „die so plakativ sind, dass sie unweigerlich zu der Frage führen: Was bleibt, wenn wir dieses Bild wegnehmen?“ Die Autorin ist wenig überzeugt, erkennt vielmehr eine symptomatische Hilflosigkeit der Kunst, sich dieser Thematik anzunähern: „[...] wenn sie den überzeichneten Bildern der Medien nichts anderes entgegenzusetzen hat als noch überzeichnetere Bilder, wird ihr die Realität immer einen Schritt voraus sein“ In der Taz erscheint heute ein sehr lesenswertes Gespräch mit Diedrich Diederichsen über die Politisierung der Spex. Zur ihm oft angelasteten übercodierten Sprache etwa, gibt er folgendes zum Besten: „Wenn man eine Güterabwägung macht zwischen gelungener Kommunikation, also zwischen sogenannter Verständlichkeit und der Treue zum Gegenstand, oder der Treue gegenüber der eigenen Begeisterung, bin ich für Letzteres. Die Rezeptionsekstase hat bei mir immer Vorrang vor dem gelungenen Kommunikationsvorgang.“ Zum Schluss ein FAZ-Artikel über Konzeptkunst via Twitter. Bester Tweet: „I am still alive“ von On Kawara.