Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

Lesezirkel

Die Presseschau für Kunst und danach


#42) Presseschau vom 14. Januar 2013

In der Zeit erklärt Wolfgang Ullrich, wie Aby Warburg zum Schutzpatron gegenwärtiger künstlerischer Bildarrangeure aufstieg. Zu Letzteren bemerkt er: „Im besten Fall, immerhin, geschiet etwas zwischen den Bildern, das aus dem geheimnis einen Moment sprachlos-heller Überraschung werden lässt. Häufiger jedoch verendet die Suchbewegung in dem schalen Verdacht, einer Beliebigkeit aufgesessen zu sein.“ Armin Schreiber kommentiert in Konkret die Fernsehsendung Alles für die Kunst: „Ziemlich präzise spiegelt die Arte-Castingshow auch den veränderten Status wider, den das Gros der bildenden Künstler heutzutage wohl oder übel akzeptieren muss. Sicher, es gibt die vom Handel inspirierten One-Man-Shows – erinnert sei an die 300.000 Euro, die den Deichtorhallen zwecks Ausrichtung der Jonathan Meese-Schau zugesteckt worden sein sollen –, aber die klassische Einzelausstellung […] ist Mangelware.“ Auf der Rückseite der aktuellen Texte zur Kunst kündigt die Galerie CFA ihre Ausstellung vom Reyle-Schüler Friesinger unter dem Titel „Wert“ an – zugleich das redaktionelle Thema der Ausgabe. Harhar! Isabelle Graw liefert in ihren zwölf Thesen dazu leider auch wenig Neues. Dafür macht sich Diedrich Diedrichsen fußnotenfreie (!) Gedanken zur Rolle der Zeit im künstlerischen Verwertungszusammenhang. Und Ulrich Bröckling bespricht „Die Erfindung der Kreativität“ von Andreas Reckwitz, findet die Theorie einer „Aufmerksamkeitsökonomie“ aber schlussendlich plausibler als dessen „ästhetisches Regime des Neuen“. Die Kunstgeschichte verfehlt bislang die Möglichkeiten des Internets, meint Jim Cuno im Daily Dot: „We are still proprietary when it comes to our knowledge. We want sole credit for what we write.“ Die FAZ fragt derweil, ob wir noch Kunstvereine brauchen: „Manchmal bekommt man fast den Eindruck, sie würden sich gerne unter Denkmalschutz stellen: als bürgerschaftliches Instrument und Durchatmestation für junge Künstler zwischen Galerie und Museum, zwischen Atelier und aufregendem Kunstmarkt.“ Zuletzt schreibt Wolfgang Kemp im neuen Merkur über die Documenta 13.

#41) Presseschau vom 9. Dezember 2012

In Frieze d/e bespricht Thomas Hübener ein Buch von Nadja Geer, die die Rolle von Sophistication im deutschen Popdiskurs untersucht. Dabei hat sie es offenbar vor allem auf Diedrich Diederichsens Akrobatik abgesehen. „Durch ingeniös geflochtene und vor allem nie explizierte Referenznetze aus Film, Hochkultur und Fremdwortjargon […]“, heißt es, entstehe „ein hermetischer Diskurs, der sich an einen Kreis der chosen few richtet.“ Auch schön: „Das Erbe der Sophistication und des Ästhetizismus der 1980er Jahre findet man heute in den leeren inszenatorischen Zeichen der Postdemokratie, in der der 80er-Jahre-Gestus der Bedeutungsauslehrung zu neuen Ehren gekommen ist.“ Die Zeitschrift porträtiert außerdem das Künstlerduo Korpys/Löffler und Andreas Slominski, in dessen Arbeiten sich „zweifellos die Reste jener gemeinen westdeutschen Nachkriegs-Spaßkultur“ wiederfänden, die auch Kippenberger und Feldmann großgemacht hätten. Endlich online ist nun auch ein Artikel aus der Zeit, der die Kunst-, pardon!, die Kitschwelten von Anselm Reyle und Bruno Bruni vergleicht. Reich wurden beide: der eine durch Fondmanager, der andere durch Zahnärzte. Der wesentliche Unterschied ihrer Verkaufstrategien sei aber eigentlich nur ein rhetorischer. Die aktuelle Theater heute bringt einen lesenswerten Aufsatz von Nikolaus Müller-Schöll, der sich noch einmal die Veränderungen in der Performancekunst vornimmt. Die postulierte „post-performative Wende“ bezieht sich dabei vor allem auf den Abschied vom Ereignis und dem Unvorhergesehen, wie sie frühere Performances motivierten (siehe auch unser Artikel vom September). Auf den Seiten der New York Times findet sich noch ein charmanter Erfahrungsbericht von Musiker Robert F. Coleman, der in Berlin eigentlich ein Album aufnehmen wollte, dort aber mehr Gelegenheit zu Party fand als zur Produktion. Problemfall Berlin: „Still, it seemed that everyone we met was creative-minded and drawn to Berlin for the same reasons we were: to pursue their art. Except that very few of them seemed to have any coming exhibitions or book launches or gigs.“

#40) Presseschau vom 12. November 2012

Und noch einmal Abschied von Kasper König. Diesmal begleitet die FAZ ihn bei seinem letzten Arbeitstag und inspiziert wehmütig die Bauteile der pensionierten Mentalität: „In seinem Büro gibt es Filterkaffee, keinen Espresso, keinen Cappuccino, keinen Latte Macchiato: Filterkaffee.“ Im Frieze-Blog wundert sich Raimar Stange über die positive Resonanz auf den Steirischen Herbst, dessen Programmatik der durchweg verrissenen Berlin Biennale nicht nachstand: „Der Grund […]mag in der verschiedenen Ausrichtung der beiden Städte zu finden sein: Berlin mit seinen derzeit über 400 Galerien ist stark auf die Produktion objektförmiger Kunst fokussiert, prozesshaft arbeitende Künstler aber haben es hier immer schon schwer gehabt.“ Der Freitag hat die die Frankfurter Schirn besucht und findet deren Privat-Ausstellung verkürze ihr Thema auf die Sexualität: „Wo vom Ende der Privatsphäre gesprochen wird, geht es fast ausschließlich um den Intimbereich.[…] Die Kuratorin kappt so historische, soziale, kulturelle und religiöse Dimensionen von Privatheit.“

#39) Presseschau vom 15. Oktober 2012

In der Welt ist Hans-Joachim Müller deutlich angeödet vom „fotografischen Stillstand“ in der Gursky-Schau im Museum Kunst Palast. „Anders als bei Thomas Ruff, der sich auf immer neue Bildabenteuer und Bildüberraschung einlässt, anders auch als bei Thomas Struth [...] herrscht bei Gursky jene hochprofessionelle Indifferenz, die sich für das Sujet nur verwendet, solange es manipulierbar ist.“ Die Zeit hat eine gute Woche erwischt: In Bezug auf Jonathan Meeses jüngste Veröffentlichung beim Suhrkamp Berlin (!), stellt Christian Demand klar, dass es ein großer Fehler wäre, „diese mühselig stolpernde Parodie utopisch ästhetischen Denkens auch nur einen Augenblick lang ernst zu nehmen.“ Luc Boltanski erklärt auf der Folgeseite den demokratischen Bankrott eines politischen Systems, dessen Gesetzgebung sich nicht mehr durch Wahlen oder Werte rechtfertigt: „Sie werden präsentiert als gleichsam naturgesetzlich, unter Berufung auf die Autorität der Wissenschaft und namentlich der Ökonomie, und ihr Zentralbegriff ist die Notwendigkeit.“ Auch Georg Seeßlens Besprechung der Land-Art-Ausstellung im Münchner Haus der Kunst bekommt eine ganze Seite und schließt: „Nun, da Land-Art aufgelöst ist in mehr oder weniger subversive Google-Earth-Eingriffe und in die Gartengestaltung stadtflüchtiger, besserverdienender Landlust-Leser und da wir ihre großen Beispiele im Museum bewundern können, wird es Zeit, zu überlegen, welches Erbe da anzutreten ist. […] Was aber ist das Material, an dem und mit dem die dort begonnen Auseinandersetzungen fortgesetzt werden können? Der Körper möglicherweise.“ Die FAZ ist sehr angetan von Hans Op de Beecks Ausstellung im Kunstverein Hannover: „Alles wirkt unmittelbar, und doch ist es eben so weit vom Realen entfernt, dass es irritiert. Op de Beeck spielt mit Klischee, Kitsch und Sentiment, doch meidet jede ironische Überhöhung.“ Lesenswert ist auch die Beschwerde von – ausgerechnet! – Nicolas Bourriaud über die Documenta 13 und deren „harmlosen Radikalismus, in dem die einzelnen Positionen umso radikaler sind, als es niemanden auch nur in den Sinn käme, dass sie auch nur den geringsten Einfluss auf eine ideologisch zubetonierte Realität haben könnten.“ Die freut sich derweil über den teuersten Richter aller Zeiten.

#38) Presseschau vom 1. Oktober 2012

In einem der Leitartikel der aktuellen Texte zur Kunst (Thema: Streit) thematisiert Peter Geimer die gegenwärtige Angst der Kunstkritik vor harten Urteilen: „Judgments, especally negative judgments of value, have increasingly bad press“, zitiert er Diedrich Diederichsen und führt das u.a. auf die „sozialen Verlockungen von Konsens“ und die allgemeine Vorstellung zurück, dass es sich bei Kunst per se um etwa Widerständiges und entsprechend Wertvolles handle. Im zweiten Teil seines Artikels widerlegt er dies sehr überzeugend am Beispiel von Thomas Hirschhorns „Ur-Collagen“, deren medienkritisches und reflexives Potenzial, das ihnen von Kunstkritikern und -historikern immer wieder zugesprochen wird, eigentlich jeder argumentativen Grundlage entbehre. Leider macht es z.B. Astrid Wege in derselben Ausgabe nicht anders, als sie für Monica Bonvicinis Installationen deren Rezeption als „konzeptionell subtile Kritik an der aggressiven Exklusivität von Kunst als Statussymbol“ widerspruchs- bzw. urteilslos wiederholt. Neben einem Gespräch zur Documenta 13, einer erschreckend dürftigen Bildstrecke von „Linealstrichverläufen“ wartet die Zeitschrift mit einer äußerst lesenswerten Zusammenfassung von Claire Bishops neuem Buch zur „Participatory Art“ auf. Art und Monopol feiern in ihren aktuellen Heften mit Thomas Scheibitz und Rainer Fetting zwei Stellvertreter öder Salonmalerei. In der aktuellen Zeit behaupten Kito Nedo und Dominikus Müller, dass das „Galerist-Sein den freien Kurator als Trendberuf der Kunstwelt abgelöst [hat]. Colin de Land ist heute cooler als Harald Szeemann.“ Und die FAZ veröffentlicht die erste Ausstellungsbesprechung in Comicform. Zeichner Ulf K. lässt seine Protagonisten über die Ausstellung des Kollegen Art Spiegelman im Kölner Ludwig resümieren: „Irgendwie waren mir die meisten Sachen zu eng gehängt. Zu sehr gestopft.“ Zumindest in diesen zwölf Panels war von Angst vor klaren Urteilen keine Spur.