Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

DÜSSELDORFRUNDGANG DER KUNSTAKADEMIE DÜSSELDORF

Und täglich grüßt der junge Wilde

13. Februar 2011 von Erik Stein
Kaum in der Akademie, hatten die Hauptakteure dieses Rundgangs bereits ihre Vertreter zu mir in den Aufzug gestellt. Links ein Pärchen in den Vierzigern, Abgesandte des Düsseldorfer „Bürgertums“, beide ins entsprechend grelle Lokalkolorit getaucht, heißt er Kopfbedeckung Marke Gelee-Royal und sie das Dress passend zur Farbe des Sportwagens in modischem Orange. Den wohlhabenden Schnäppchenjägern, ebenso Galeristen und geladenen Gästen, öffnet man den Rundgang in Düsseldorf traditionell bereits ab Montag. Für stolze Eltern und gelangweilte Schulklassen öffnet die Veranstaltung dagegen erst Mittwoch. Diese Separierung hat praktische Gründe (die Besucherzahlen schwanken jährlich zwischen 10.000 und 15.000), fördert aber auch das schmeichelnde Gefühl zum erlesenen Kreis zu gehören. Zumindest, wenn man an einem Dienstagnachmittag mit zwei betuchten Düsseldörflern im Aufzug steht. Dazu gesellt sich nun die Fraktion der Verwaltung in Form einer Art Hausmeister sowie ein stark ausdünstender und offensichtlich angetrunkener Vertreter der Studentenschaft, einen vollen Kasten Bier im Schlepptau. Er klammert sich an die Haltegriffe, der Hausmeistertyp beäugt misstrauisch das klirrende Gebräu: „Also wenn ich um 12 Uhr meine Runde mache und irgendwo noch etwas höre, dann kreist der Baseballschläger!“. Der Student lächelt gequält und versucht die illustre Fahrstuhlgemeinschaft mit einem Witz zu unterhalten: „Warum können Schlümpfe kein Brot backen? – Sie haben doch Gar-ga-mel“. Willkommen im Rheinland!
Abbildung zu
Aus einer Broschüre der Akademie: "Es gibt keine Regeln für die Kunst; sie entsteht aus dem Menschen". Oben: Malaktion der Klasse Tal R.
Der Dauerkrieg zwischen Verwaltung und Studenten hat in diesem Jahr ein neues Ausmaß angenommen. Montagnacht hatte die angeheuerte Security gar mehrere Polizeibusse mit grünen Kampfturtles zur Verstärkung gerufen und die rund dreißig feiernden Studenten tatsächlich aus der Akademie tragen lassen. Die Geschichte macht die Runde, bleibt aber wie so vieles hinter den Mauern des Neorenaissancegebäudes. Besser die Lokalpresse schwärmt weiter wohlmeinend von der „bedeutendsten Kunstakademie Deutschlands“ (Rheinische Post), als dass derlei diskutiert würde. Es ist wohl klüger, denn der Boulevard würde kurzen Prozess machen mit daueralkoholisierten Professoren (auf einer der abendlichen Partys fragt so einer tatsächlich im, ähm, „Scherz“, ob es jemand mit einer seiner Studentinnen treiben wolle – 100 Euro möchte er dafür sehen) und sich blutig raufenden, nackt tanzenden Studenten, die auch gerne mal auf die schlappmachenden Kollegen urinieren (alles Dienstagnacht). Diese berauschte Gemengelage vor Augen realisiert man, dass die Welt in Düsseldorf noch in Ordnung ist. Die Studentenschaft rekrutiert sich überwiegend aus der gehobenen Mittelschicht und bekommt in der einzigen schuldenfreien Großstadt Deutschlands auch wenig anderes zu Gesicht. Der Auftrag der sich mit künstlerischer Freiheit verbindet, ist hier entsprechend ungebrochen: immer noch geht es um die persönliche und artistische Rebellion gegen die vermeintlichen Ketten bürgerlichen Spießertums. Dass gerade dieses ihre Künstler aber am allerliebsten im alkoholisierten Narrenformat bzw. im innerlich zerrissenen und äußerlich farbbeklecksten Geniegewand genießt, sorgt für eben jenen diskursiven Stillstand, der im Krieg zwischen bösen Verwaltern und wilden Studenten seinen ritualisierten Ausdruck findet.
Beim Gang durch die Klassenräume stößt man hie und da dennoch auf ein paar vielversprechende Beiträge zur Veränderung. In erster Linie sind es die neu berufenen Professoren, deren Klassen sich angenehm vom alljährlichen stupiden Pinselwrestling der Malerklassen Braun, Anzinger, Brandl, Havekost und Schulze abheben. Die neue Klasse von Katharina Grosse scheint als eine der wenigen ein schlüssiges Raumkonzept erarbeitet zu haben, in dem die Arbeiten zu einem Ganzen finden, ohne sich ihre jeweiligen Deutungen streitig zu machen. Ebenso bei der Fotoklasse unter Christopher Williams, in der erfreulicherweise nichts mehr von den Becher-Apologeten der vergangenen Jahre übrig geblieben ist. Ein einsam gerahmter Schwarzweißabzug versucht den Besucher vergeblich daran zu erinnern, dass er sich in den Räumen des Fachbereichs für Fotografie befindet. Aber selbst dieses Bild dient nur als Teaser für das vor ihm liegende Buch. In diesem sieht man einer Person über die Schultern, die ein Buch durchblättert, in welchem man einer Person über die Schultern sieht, die ein Buch durchsieht, in welchem man wiederum einer Person über die Schultern… usw. Klassisch gebundene Bücher mit dieser Art staubtrockener Bilderfolgen hat Student David Kühne noch einige mehr in das Regal gegenüber gelegt. Fast zu bescheiden findet man die Präsentation, aber vielleicht ist auch das nur Reaktion auf das horizontverdichtende Gewitter malerischer Großformate in den tieferliegenden Stockwerken. Wie die Fotoklasse befindet sich auch die neue eingerichtete Klasse für Film und Video unter der Leitung von Marcel Odenbach im dritten Geschoss. Bei deren mit Abstand überzeugendster Klassenpräsentation hat man sich dafür entschieden, den Raum leer zu räumen und so zu belassen. Einzig vier größere Lautsprecher beschallen den Raum mit einer Tonspur, in welche die Studenten ihre Beiträge eingeflochten haben. Das ist mitunter ziemlich beeindruckend, etwa wenn man mit der Variation eines spacigen Brummens und der Fenstersicht auf die gegenüberliegende Tonhalle allein gelassen wird.
In der Klasse von Thomas Grünfeld hinterlässt der Raum der beiden Absolventen Matthias Wollgast und Ruslan Daskalov einen Gesamteindruck von kühler Leichtigkeit, der nicht wie andernorts mit leeren Chic den Raum auffüllt. Die elegant gehängten Photosphop-Gemälde von Daskalov (der dafür auch den Diplompreis erhielt) werden sich dennoch kaum dagegen wehren können, in dem ein oder anderen Schlafzimmer erwähnter gelgetränkter Düsseldörfler zu landen (wie man hört, machen Absolventen an guten besuchten Rundgangstagen hier schon mal bis zu 15.000 Euro Umsatz). Die Bilder hätten besseres verdient. Sehr schön auch der Anti-Grusky aus dem Hause Herold: Niko Ikonomeas zerlegt mit einer Schraubzwinge ein teures Diasec und hinterlässt eine bändesprechende Skulptur. Auch der mit einem Heer von Stroboskopleuchten beschossene Abstellraum von Martin Roos (Klasse Vermeiren) verteidigt das Prinzip „mit wenigen Mittel viel vermögen“. Schließlich bleiben noch drei Arbeiten in Erinnerung, die anonym bleiben wollen, aber ob ihres grandiosen Tiefgangs unbedingt der Dokumentation bedurften… Viel Spaß beim Bildgenuss, wir sehen uns an der Bar!
Abbildung zu
No, you can't!
Abbildung zu
Wer wird wohl dein Herzblatt sein?
Abbildung zu
Räumlicher Tiefgang

Kommentare

#1) Am 14. Februar 20:16 um Uhr von Johann

Es ist schade, daß ausschließlich Negativbeispiele zur Bebilderung gewählt wurden. Diese zu finden dürfte auf keinem Rundgang schwierig sein, allerdings hätte mich eher die andere Seite interessiert.

#2) Am 15. Februar 20:16 um Uhr von Kort

Ich kann mich Johann nur anschließen, ein wenig konstruktive Kritik wäre doch schön gewesen. (hab nur die Hälfte gelesen, war zu lang)

#3) Am 15. Februar 20:16 um Uhr von Johann

Für mich beginnt der Artikel erst beim dritten Absatz, daher finde ich die Länge gerade richtig.

Die ersten beiden Abschnitte sind – meiner Meinung nach – unnötig, da die darin enthaltenden Informationen für eine Betrachtung bzw. Beurteilung der Arbeiten nicht relevant sein sollten. Äußere Umstände spielen (dafür) nur dann eine entscheidende Rolle, wenn sie zum Konzept dazu gehören. Wir sollten tolerant genug sein, Leuten, die sich ernsthaft mit Kunst auseinandersetzen, ihren Freiraum zu lassen, diesen sogar zu fördern.

Die beiden letzten Absätze sind für mich jedoch die ehrlichste und beste Auseinandersetzung, die ich zum (Düsseldorfer) Rundgang gelesen habe.

#4) Am 17. Februar 20:17 um Uhr von Margot

Tatsächlich machen gerade die ersten beiden Absätze die Bedingungen eines Rundgangs deutlich und sind deshalb die Interessantesten. Die Beleuchtung des Verhältnisses von Künstlern und Bürgertum und dem dazugehörigen Bild bzw. Selbstbild des Künstlers ist wahrscheinlich die sinnvollste Methode eine solche Veranstaltung zu besprechen.