Der Donnerstag hat seinen Betrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt. d. Red.

BERLINJOHANNES RAETHER: PROTEKTORAMA WELTHEILUNGSWALD

Sehnsucht nach dem Hammer

11. März 2012 von Volkmar Hilbig
Klären wir einen Sachverhalt vorweg: die Ausstellung "Responding to the New Moon" in der Galerie Tanja Wagner im Januar 2012 war durchaus sehenswert. Da gab es beispielsweise eine Arbeit aus der hinlänglich bekannten und anspruchsvollen Werkgruppe "Hidden Poems" von Natalie Czech, Runo Lagomarsinos "We all laughed at Christopher Columbus" brachte die Beziehungen zwischen dem alten Europa und seinen ehemaligen südamerikanischen Kolonien auf den Punkt, und auch sonst fielen die meisten andere Arbeiten von diesem Niveau nicht sonderlich ab. Und dazwischen die Instrumente, Objekte und Utensilien von Johannes Paul Raether: Ritualköfferchen, Nordic Walking Sticks, Performance Script usw.
In der Ausstellung "Document Performance" zeigte die Galerie exile nahezu gleichzeitig, wie schwierig es ist, mit der Präsentation von Objekten eine Performance, d.h. deren Gehalt und Wirkung zu dokumentieren. Nicht zufällig, weil eben angesagt, war Raether auch hier vertreten. "Nationalfahnen zu Schwefelrosen" war vielleicht sogar eine gute Performance; das Anliegen und die ansehnlichen Reste lassen das zumindest vermuten. Während es in der Galerie exile um die Objekte ging, musste man sich bei Tanja Wagner nicht damit begnügen: am 7. Januar 2012 gab es die Performance "Protektorama Weltheilungswald" von Johannes Paul Raether – live und grell.
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Schlumpfine umringt von den Kindern der Telekommunikation: Raether bei Tanja Wagner
Die Lächerlichkeit dieser gefühlten zwei Stunden war erschreckend. Fremdschämen nennt man wohl das, was sensible, mitfühlende Gemüter wie ich dabei empfanden und irgendwann bahnte ich mir den Weg durch das Publikum Richtung Ausgang, etwas benommen mein dürftiges Italienisch-Vokabular benutzend, um nicht auf deutsch oder englisch nach meiner Meinung zu diesem Mummenschanz befragt zu werden. Ich brauchte Abstand. Auch jetzt noch denke ich, dass es nicht zwingend notwendig wäre, darüber zu schreiben, gäbe es nicht die Ankündigung des HAU, all dies in geweihtem Theaterambiente zu wiederholen (am 13.3. 2012 im Hau Eins).
Was also war geschehen an besagtem Abend in der Pohlstraße? Eine Skulptur, bestehend aus in drei Kreisen angeordneten seltsamen Stahlgestellen war aufgebaut und Johannes Paul Raether, das Gesicht blau geschminkt und mit roter Langhaarperücke, roten Strümpfen, roten, eigentlich untragbaren Schuhen und einem zerschnittenen, mit bunten Flicken drapierten Eishockeytrikot herausgeputzt, platzierte sich als Weltheilungshexe Protektorama in deren Mitte. In schönstem kosmopolitischen Englisch schwadronierte er darüber, wie schlecht die Welt doch ist, was Marx, Maya Deren und andere Diskursheroen dazu gesagt hatten und versprach schließlich, durch eine neue, technoide Spiritualität Abhilfe zu verschaffen. Was in der Nacherzählung noch einigermaßen lustig klingen mag, wirkte tatsächlich aber so gequält, so bemüht; der Künstler mit dem Zeremonienstab in der einen, dem Manuskript in der anderen Hand und das Publikum, teils dem Manne freundschaftlich verbunden, teils skeptisch beobachtend: Was macht mein Nachbar?, fragten die umherschweifenden Blicke. Der Performer erklärte die Metallskulptur als spätkapitalistischen Kultplatz im imaginären Weltheilungswald – ja unser aller Rettung sei möglich durch die moderne Technik in Form der Telekommunikation.
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"Please come to the, äh… Lichtung" – Jan Paul Raether im Weltheilungswald
Dann sollte es endlich losgehen mit Erleuchtung und sozialer Skulptur. "Please come to the, äh… Lichtung"; der innere Kreis war für die Old-School-Handys vorgesehen, deren Besitzer er bat, niederzuknien und ihre Geräte auf die Gestelle zu installieren; der mittlere Kreis für die Smartphones und der äußere für – ich weiß es nicht mehr ... Die Zuschauer zögerten, aber Raether betonte immer wieder, niemandem, auch keinem der teuer erstandenen Geräte würde Unheil widerfahren. Ach was waren das noch für Zeiten als Klaviere zertrümmert oder zersägt wurden; man erinnert Macunias, Vostell und Co, bei Welin und Nilsson floss gar Blut. Und wie schön hätte der Abend 2012 in Berlin werden können, wenn plötzlich ein Vorschlaghammer seine Zerstörungskraft wenigstens angedeutet hätte. So aber nahmen die Beschwichtigungen kein Ende und irgendwann nach langem Zögern fühlte sich sogar der anwesende Galerist Oliver Koerner von Gustorf bemüßigt, vor seinem September-Protégé die Gebetsstellung einzunehmen. Nun huldigte das Kunstpublikum also endlich der drolligen Hexe, die dem Spätkapitalismus mit Abrakadabra den Garaus machen will. Was wohl als superintelligente, ironische Performancelecture gedacht war, entpuppte sich als abstruser und gähnend langweiliger Versuch, die gesellschaftskritische Position des Performers zu untermauern. Das Ende der Vorstellung erlebte ich nicht mehr mit, gnädig nahm mich die Berliner Nacht auf.
Johannes Paul Raether ist ein in seinen politischen Ansätzen mitunter durchaus ernstzunehmender Hans Dampf in allen linken Gassen, der sich seine Fangemeinde erarbeitet hat; Kunst aber lässt sich in seinen Arbeiten nur schwerlich erkennen. Der intellektuell angehauchte Firlefanz war billig und banal, irgendwo im Niemandsland zwischen Zirkusnummer und Kommenden-Facebook-Aufstands-Gehabe. Es ist immer ärgerlich, wenn etwas mit hohem Anspruch daherkommt, aber den Geist unterfordert, ästhetisch eine Zumutung ist und als Klamauk nicht funktioniert. Da ist man dann plötzlich froh, die im Raether-Umfeld entstandene Sieg-über-die Sonne-Neuinterpretation letztes Jahr verpasst zu haben.