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BREMENFREIBEUTER DER UTOPIE

Die Utopien von Vorgestern

23. April 2011 von Adriane Kerkhoff
Die Idee ist eigentlich nicht schlecht: Sich in politischen Zeiten der Umbrüche (man denke an die jüngsten arabischen Aufstände) über das unausgesprochene Gesetz, das politische Kunst ins belächelte Abseits verbannt, hinwegzusetzen, und eine Schau zu politisch-künstlerischen Utopien auszurichten. Und auch die Hängung wirkt gut überlegt. Weserburg-Chef Carsten Ahrens setzt die Fotografien, Filme, Skulpturen und Schriftstücke miteinander in Beziehung. Von der Rauminstallation „Anthro/Socio“ von Bruce Nauman zu Beginn der Ausstellung, bis zu Jonathan Meeses „Diktatur der Kunst“ zum Abschluss, ziehen sich Zitate, etwa aus Heiner Müllers Hamlet-Maschine, als roter Faden durch die Schau und verbinden die Exponate zu einem großen Ganzen. So werden die Nauman-Köpfe, die den Besucher rotierend von sechs Fernsehern und drei großen Leinwänden anflehen: „eat me – feed me – hurt me“ zu einem sehr gelungenen Einstieg und machen durch ihre laute, anklagende Hilflosigkeit sensibel für die folgenden Ideen einer anderen Welt.
Etwa die Installation „Democracies“ von Artur Žmijewski schlägt einem mit zehn Fernsehern entgegen, auf denen polnische Neonazis, israelische Truppen, religiöse Fanatiker und 1. Mai-Demonstranten in Berlin marschieren. Dass deren Ausdruck, die Gesten und die Szenen sich ähneln, setzt die Ideologien der Aktivisten in Sisyphos-Zusammenhänge, ohne dass ein Erreichen der individuellen Utopien realistisch erschiene. Die scheinbare Antwort auf die Frage nach der Wichtigkeit und Richtigkeit unterschiedlicher Wertvorstellungen gibt Heiner Müller: „Heil Coca Cola“ steht gegenüber der Installation an die Wand geschrieben. Es läuft trotz aller Wunschvorstellungen also immer auf den Kapitalismus hinaus. „Fernsehn Der tägliche Ekel Ekel Am präparierten Geschwätz“ heißt es weiter. Doch Fernsehen geht auch anders: Alexander Kluge ist mit zwei Bildschirmen vertreten und beweist, dass Kreativität und ernsthafte Gespräche als TV-Parallelwelt neben kapitalistischen Glanz-Produktionen durchaus existieren und wirken können. „Jede Geistesgegenwart ist dem Plappern der Argumente überlegen“, wird Peter Sloterdijk hier zitiert. Direkt daneben kontrastiert Jonathan Meeses Utopie einer „Diktatur der Kunst“. In Videos und auf Plakaten fordert Meese „Alle Macht der Kunst“ und preist dionysischen Nietzsche-Sake.
Mit „Freibeuter der Utopie“ ist der Weserburg eine überdurchschnittliche gute Schau gelungen, die aller postmodernen Skepsis gegenüber Politkunst trotzt und wohlüberlegt Verbindungen schafft, auf die Macht der Kunst zurückverweist, Denkprozesse im Betrachter auszulösen und sich selbst in seiner Umwelt zu hinterfragen. Noch besser wäre dies allerdings gelungen, wenn nicht etwa 60 Prozent der Exponate den Utopien von vorgestern entstammten. Denn auch wenn Beuys sicher etwas zum Thema beizutragen hatte, rechtfertigt das nicht, wie auch schon bei der anderen aktuellen Weserburg-Schau „Chronische Fluxitis“ einen Stock tiefer, in jeden freien Winkel eines seiner Exponate zu quetschen. Auch Warhols Suppendosen wirken hier eher, als hätte man sie eben gerade im Haus gehabt und würde sie zeigen weil der Name des Künstlers bekannt ist, als dass sie wirklich etwas zur gesamten Schau beitragen würden. Besser wäre wohl gewesen, die unkonforme Line strikter weiterzuverfolgen und wirklich Utopisches zu zeigen.